Hintergrund
Es braucht mehr Harmonisierung und höhere Leistungen in der Sozialhilfe: UFS-Gastkommentar in der NZZ
Andreas Hediger und Tobias Hobi haben für die Neue Zürcher Zeitung NZZ einen Gastkommentar zur Situation der Sozialhilfe verfasst. Dieser Gastkommentar ist am 12. März 2025 in der NZZ erschienen. Hier können Sie ihn als PDf downloaden: «NZZ-Gastkommentar». Die beiden Autoren fordern vor allem - aber nicht nur - mit Blick auf armutsbetroffene Kinder Reformen im System der Sozialhilfe:
«Die Sozialhilfe ist das unterste Netz im Sozialsystem der Schweiz. Sozialhilfe erhält erst, wer nicht über ausreichend eigene Mittel verfügt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Rund ein Drittel aller Sozialhilfebezüger in der Schweiz sind Kinder.
Gerade mit Blick auf die Kinder sind die Leistungen der Sozialhilfe heute zu tief bemessen. Dies zeigt eine jüngst von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren und -direktorinnen (SODK), der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) und der Städteinitiative Sozialpolitik in Auftrag gegebene Studie. SODK, Skos und Städteinitiative haben beschlossen, die in der Studie vorgeschlagenen Massnahmen vertieft zu prüfen und Reformen einzuleiten, um die wirtschaftliche Situation von Kindern in der Sozialhilfe zu verbessern.
Dass dies zu höheren Kosten in der Sozialhilfe führen wird, ist den Regierungs- und Stadträtinnen bewusst. Sie gewichten jedoch die Umsetzung der Kinderrechte und das Wohl der Kinder höher und geben zudem zu bedenken, dass es störend ist, wenn die Ausrichtung von situationsbedingten Leistungen von Gemeinde zu Gemeinde stark variiert.
Eine weitere Studie gelangte unlängst ebenfalls zu der Erkenntnis, dass der Vollzug der Sozialhilfe teilweise einem Flickenteppich gleicht und sich Arm-Sein, ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes, von Gemeinde zu Gemeinde unterscheiden kann. In der Praxis zeigt sich dies beispielsweise daran, dass in einer Gemeinde die Wohnbedürfnisse von Kindern adäquat berücksichtigt werden, während in der Hausordnung einer Notunterkunft einer anderen Gemeinde, in der eine alleinerziehende Mutter mit ihren beiden minderjährigen Kindern wohnte, zu lesen war: «Die Wäsche wird von Hand in der Badewanne gereinigt.»
Die Ergänzungsleistungen zu AHV und IV helfen, wenn Renten und das Einkommen die minimalen Lebenskosten nicht decken. Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen verfolgen also das gleiche Ziel, das Existenzminimum zu sichern. Folglich waren auch ihre Leistungen ursprünglich gleich hoch. Laut Botschaft des Bundesrates zur Einführung der Ergänzungsleistungen von 1964 sollte die Höhe der Ergänzungsleistungen ungefähr dem Mittel der kantonalen Sozialhilfeleistungen entsprechen.
Mittlerweile sieht die Situation deutlich anders aus. Gehen wir von einem armutsbetroffenen Paar mit zwei Kindern im Alter von 12 und 13 Jahren im Kanton Aargau aus: Nach dem Ergänzungsleistungsgesetz steht der Familie im Jahr 2024 ein 93 Prozent höherer Grundbedarf zu, als er von der Sozialhilfe ausgerichtet wird. Zusätzlich ist der von den Ergänzungsleistungen im Vergleich zur Sozialhilfe übernommene maximale Mietzins durchschnittlich um 30 Prozent höher.
In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass der Familie monatlich für Grundbedarf und Wohnung 6214 Franken an Ergänzungsleistungen zustehen, an Sozialhilfe dagegen lediglich 3715 Franken. Die jährliche Differenz von rund 30 000 Franken ist massiv und lässt sich sachlich nicht rechtfertigen. Auch die in der Sozialhilfe im Gegensatz zu den Ergänzungsleistungen ausgerichteten situationsbedingten Leistungen gleichen diesen Unterschied nicht aus.
Die im Vergleich zu den Ergänzungsleistungen massiv tieferen Sozialhilfeleistungen, die sich zudem – einem Flickenteppich gleich – von Gemeinde zu Gemeinde erheblich unterscheiden können, sind gerade mit Blick auf armutsbetroffene Kinder unhaltbar. Es ist deshalb dringend eine weitergehende Harmonisierung und Erhöhung der Sozialhilfeleistungen angezeigt.
Andreas Hediger ist Geschäftsführer, Tobias Hobi ist Rechtsberater bei der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) in Zürich.»
Gastkommentar erschienen in der NZZ vom 12. März 2025.