Engagement
Armutsbetroffene stärken – nicht entmüdigen
Joshua Rhomberg studiert Sozialarbeit in Zürich und war bis Ende Mai bei der UFS als Praktikant tätig. Im Jahresbericht 2024 der UFS hat er sich Gedanken zur Aufgabe der Sozialhilfe gebracht. Wir publizieren diese Gedanken hier erneut, da wir sie als sehr wichtige Überlegungen wahrnehmen:
Die Aufgabe der Sozialhilfe geht über den Verwaltungsakt, das blosse Ausrichten von existenzsichernden Leistungen hinaus. Hinter Begriffen wie Mitwirkungspflicht und persönlicher Hilfe verbirgt sich ein sozialarbeiterischer Auftrag, der oft im Spannungsverhältnis zu (finanz-)politischen Interessen steht. Meine ersten Monate bei der UFS haben bei mir dahingehend oft ein erschreckendes Bild hinterlassen.
Hohe Anforderungen
Die Sozialhilfe bietet politisch gewollt, ein äusserst niedriges Existenzminimum – insbesondere im Vergleich zu den Ergänzungsleistungen. Der rechtliche Rahmen der Sozialhilfe ist darüber hinaus darauf ausgelegt, Menschen zu aktivieren, sie „in die Verantwortung zu nehmen“ und sie auch mit Sanktionen zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Diese Anforderungen können sehr hoch sein. Allein der Gang zum Sozialamt erfordert ein hohes Mass an bürokratischem Aufwand. Eine Wohnung zu suchen, während die Angst vor Kürzungen im Nacken sitzt, kann für Betroffene äusserst belastend sein.
Mangelndes Interesse
Dass diese Ausrichtung der Sozialhilfe politisch gewollt ist und dass das öffentliche Interesse oft höher gewichtet wird als die persönlichen Interessen der Adressat:innen, muss bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden. Zumindest so weit es sich um eine gesetzlich demokratisch legitimierte Praxis handelt. Doch es fällt mir schwer zu verstehen, warum das „öffentliche Interesse“ meist als Interesse an Steuergeldern verstanden wird – und seltener als Interesse an einer solidarischen Gesellschaft, die sich um alle Menschen kümmert.
Kodex des Berufsverbandes
Die Frage, wie die Aufgaben der Fachpersonen aussehen sollten, die Sozialhilfe ausbezahlen und die Adressat:innen begleiten, sehe ich nicht allein durch gesetzliche Grundlagen beantwortet. Als Studierender der Sozialen Arbeit habe ich eine klare Haltung: Diese Aufgabe muss sich an den Prinzipien der Sozialen Arbeit orientieren, wie sie zum Beispiel im Berufskodex des Berufsverbandes festgehalten sind. Dabei müssen die Adressat:innen mit ihren individuellen Biografien und Belastungen ins Zentrum gestellt werden – auch im Kontext mangelnder Ressourcen.
Machtsensibilität und Empathie
Fachpersonen der Sozialen Arbeit sollten sich nicht allein als Verwaltungsinstanz verstehen, sondern als Begleitende und Unterstützende, die Adressat:innen in ihrer Selbstbestimmung stärken, statt sie zu entmündigen. Dies erfordert nicht nur Fachwissen, sondern auch Machtsensibilität, gelebte Empathie, oft viel Geduld und den Mut, sozialarbeiterische Prinzipien auch in einem politisch belasteten Kontext zu vertreten. Viele Fachpersonen setzen dies um. Doch was ich bisher im Praktikum erlebt habe, zeigt mir, dass sich viele im System alleingelassen fühlen – für mich auch ein Zeichen dafür, dass der sozialarbeiterische Auftrag häufig hinter verwalterischen Pflichten zurückbleibt.
Solidarität und soziale Gerechtigkeit
Um die Sozialhilfe stärker an den Prinzipien der Sozialen Arbeit auszurichten, braucht es mehr Zeit und Ressourcen für die persönliche Begleitung der Adressat:innen. Gleichzeitig fordere ich von meinen Kolleg:innen, dass der gesellschaftliche Fokus nie allein auf finanzpolitische Aspekte beschränkt bleibt, sondern Solidarität und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Wenn wir von einer Gesellschaft sprechen, die soziale Gerechtigkeit ernst nimmt, dann muss sich dies auch in der Ausgestaltung der Sozialhilfe widerspiegeln. Eine solidarische Gesellschaft ist nicht nur eine moralische Forderung – sie ist eine Investition in den sozialen Zusammenhalt und damit letztlich auch im öffentlichen Interesse.