Abstimmung

«Ich will nicht von Sozialhilfe abhängig sein»

Ohne Sozialhilfegelder stehen Deutschkurse und Integrationsprogramme für vorläufig Aufgenommene auf der Kippe.

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Mustafa Yassin ist vor neun Monaten mit seiner Frau in die Schweiz eingereist. Der 33-Jährige Englischlehrer ist vor dem Krieg in Syrien geflüchtet. Sein Asylgesuch wurde zwar abgelehnt, in seine Heimat kann er wegen des Krieges aber nicht geschickt werden. Nun bleibt er als «vorläufig Aufgenommener» mit Status F in der Schweiz. Gestern hat ihn das Komitee «Integrationsstopp Nein» eingeladen, seine Situation zu schildern. Der Grund: Legt am 24. September eine Mehrheit der Zürcher Stimmbevölkerung ein Ja in die Urne, werden vorläufig Aufgenommene wie Yassin nur noch nach den reduzierten Ansätzen der Asylfürsorge unterstützt. Der Anspruch auf Sozialhilfeleistungen entfällt. Deutschkurse und Integrationsprogramme würden vermutlich gestrichen, weil der Kanton den Gemeinden das Geld dafür nicht mehr bereitstellen müsste. Viele Gemeinden sind nicht gewillt, die Kosten zu übernehmen. 26 Zürcher Städte und Gemeinden wehren sich deshalb mittels Gemeindereferendum gegen die Gesetzesänderung.

«Sprache ist der Schlüssel»

Auch das Komitee «Integrationsstopp» hat das Referendum ergriffen. Es setzt sich zusammen aus der Caritas, den beiden Landeskirchen, dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen (Heks), dem Solinetz, der Freiplatzaktion und weiteren sozial tätigen Organisationen. Samuel Häberli von der Freiplatzaktion befürchtet, dass der finanzielle Grundbedarf der Betroffenen erheblich gekürzt, deren Wohnsituation verschlechtert und die Integrationsleistungen eingestellt würden.

Von den Kürzungen betroffen wären rund 5600 Personen mit Status F im Kanton Zürich. Sie stammen mehrheitlich aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Irak und werden wohl für immer in der Schweiz bleiben. In neun von zehn Fällen ist das so.

Auch Mustafa Yassin will bleiben. «Ich habe mein Land nicht verlassen, um von Sozialhilfe abhängig zu sein, sondern wegen des Krieges – und um nach einer Chance für ein neues Leben zu suchen», sagt Yassin, der schon gut Deutsch lesen kann, die Fragen aber lieber auf Englisch beantwortet. «Mit der Sozialhilfe haben meine Frau und ich die Chance, in der Schule Deutsch zu lernen», sagt er: «Denn ich weiss: die Sprache ist der Schlüssel zur Einbindung in die Gesellschaft.»

Falsche Anreize?

Seit 2012, seit der Revision des Sozialhilfegesetzes, müssen vorläufig Aufgenommene sozial und beruflich integriert werden. Im Kanton Zürich werden sie dazu nach dem Sozialhilfegesetz unterstützt. Die Erwerbsquote der vorläufig Aufgenommenen wirft allerdings kein gutes Licht auf diesen Systemwechsel. Sie hat seit 2012 abgenommen, von 42,5 auf 30 Prozent. Die Befürworter der Vorlage schliessen daraus, dass viele vorläufig Aufgenommene dank der höheren Sozialleistungen gar nicht arbeiten wollen.

«Aus meiner Erfahrung sind das nur ganz wenige», entgegnet Andreas Hediger, Geschäftsleiter der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht in Zürich. Das Argument sei ohnehin schwach: «Denn bemüht sich jemand nicht um Integration oder Arbeit, kann ihm die Sozialhilfe gesenkt oder gar gestrichen werden.»

Die tiefe Erwerbsquote könne auch damit zusammenhängen, so Hediger, dass die Integrationsprogramme nicht gut genug seien – oder der Erwerbsmarkt schlicht zu wenig Ausbildungs- und Arbeitsplätze hergebe.

Die Sozialhilfe ist aus Hedigers Sicht ein wichtiges Instrument. Auch weil sie zum Ziel habe, die Bezüger in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu intergrieren und letztlich finanziell unabhängig zu machen. «Dass dies gelingt, ist auch für jene wichtig, die keine Sozialhilfe beziehen», sagt Hediger. «Vom sozialen Frieden profitiert die ganze Gesellschaft.»

(Der Landbote)

Erstellt: 22.08.2017, 19:41 Uhr

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