Aargauer Regierungsrat lehnt Kürzung der Sozialhilfe ab
Erfreuliche Nachrichten aus dem Kanton Aargau: Der Regierungsrat lehnt die Forderung von Kantonalpolitiker:innen ab, die Sozialhilfe markant zu kürzen und deren Erhöhung auf den Grundbedarf vom «Integrationswillen» der Sozialhilfebeziehenden abhängig zu machen. Auch eine Staffelung der Bezugshöhe nach Anzahl Arbeitsjahren weist die Aargauer Regierung zurück. Der Nutzen sei kaum ersichtlich, argumentiert sie. Zudem arbeiteten gemäss Gemeindeangaben nur rund 5 Prozent der Sozialhilfebeziehenden nicht kooperativ mit den Sozialämtern zusammen.
Die beiden Vorstösse hatten es in sich: Bürgerliche Mitglieder des Grossen Rates des Kantons Aargau reichten 2017 und 2018 zwei Vorstösse ein, die geeignet gewesen wären, das Netz der sozialen Sicherheit zu durchlöchern und Grundprinzipien der sozialen Sicherheit auszuhebeln. Beide Vorstösse wurden als Motion eingereicht, vom Grossen Rat jedoch nur in der abgeschwächten Form eines Postulates überwiesen. Zu beiden Postulaten musste der Regierungsrat vertiefte Abklärungen treffen, deren Ergebnisse er nun in seinem Bericht vorlegt. Der Regierungsrat des Kantons Aargau empfiehlt dem Grossen Rat, die Forderungen aus beiden Vorstössen nicht umzusetzen. Bei den Argumenten, die er dieser Empfehlung zu Grunde legt, lässt er es an Deutlichkeit nicht mangeln.
Frontalangriff auf die Sozialhilfe
Unter dem Titel «Motivation statt Sanktion» verlangten die Aargauer Politiker:innen um die heutige SVP-Nationalrätin und damalige Grossrätin Martina Bircher, dass allen Sozialhilfebeziehenden die Höhe der Sozialhilfe auf 70 Prozent des durch die SKOS definierten Grundbedarfs gekürzt werden solle. Nur wenn die Sozialhilfebeziehenden ein genügend grosses Engagement, Integrationswillen und Motivation zeigten, sollte der Betrag teilweise oder ganz auf die Höhe des von der SKOS definierten Grundbetrages erhöht werden. Selbstredend erklärten die Politiker:innen nicht, wie diese Punkte gemessen werden sollten. Der Willkür wären Tür und Tor geöffneten worden.
Gegen hilfsbedürftige Menschen
Mit dem Vorstoss «Sozialen Frieden in der Sozialhilfe bewahren» forderten zudem die mehrheitlich selben Politiker:innen, dass die Höhe der Sozialhilfe künftig davon abhängen soll, wie lange eine Person bereits Sozialversicherungsbeiträge geleistet habe. Ältere Arbeitslose in der Sozialhilfe wären dadurch besser behandelt worden, als Menschen die selber noch nie oder erst wenig in der Schweiz gearbeitet haben. Diese Forderung hätte unter anderem Flüchtlinge, welche ohne Hab und Gut in die Schweiz geflüchtet sind, schlechter gestellt als Schweizer:innen, die einen Grossteil ihres Leben in der Schweiz erwerbstätig waren. Dies hätte den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Schweiz gefährdet und die Gleichbehandlung ausser Kraft gesetzt.
Verletzung übergeordneten Rechts
Die Aargauer Regierung prüfte die beiden Postulate unter Einbezug der Gemeinden, von Verbänden und der kantonalen Verwaltung. Ausserdem wurden Interviews mit zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt. Der Regierungsrat ist nach dieser umfangreichen Prüfung überzeugt, dass die Kosten und der Aufwand den Nutzen einer Umsetzung überwiegen. Der Regierungsrat schreibt in seiner Medienmitteilung, dass «durch den geforderten Systemwechsel, die betroffenen Personen in der Sozialhilfe weniger Geld für den Lebensbedarf zur Verfügung hätten. Dies könnte ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre Gesundheit sowie ihre soziale und berufliche Integration beeinträchtigen.» Der Regierungsrat macht zudem geltend, dass bei einer Umsetzung der in den Postulaten geforderten Massnahmen, die in der Bundesverfassung und in internationalen Übereinkommen verankerten Grund- und Menschenrechte tangiert würden.
Eine allfällige Umsetzung wäre namentlich für die mit der Sozialhilfe beauftragten Gemeinden sehr aufwändig, ist der Regierungsrat überzeugt. Dieser Zusatzaufwand sei unter anderem deshalb unverhältnismässig, weil sich nur rund 5 Prozent der Sozialhilfebeziehenden bei der Zusammenarbeit mit den kommunalen Sozialämtern nicht kooperativ verhielten. Für spezifische Gruppen, wie Menschen mit einer Behinderung oder Flüchtlinge wären Sonderregelungen nötig. Die Bemessung der Sozialhilfe wäre mit rechtlichen Unsicherheiten und Rechtsungleichheiten behaftet. Zudem habe der Bund und der Kanton Aargau bereits verschiedene Massnahmen umgesetzt, die ähnliche Wirkungen entfalteten, wie die von den Postulant:innen angestrebten Zielsetzungen. Dazu zählen unter anderem die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose, die der Bund 2021 eingeführt hat.
Viel Aufwand ohne Nutzen
Der Regierungsrat hält abschliessend fest: «Der mögliche Nutzen des vorgeschlagenen Systemwechsels steht aus Sicht des Regierungsrates nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den erwarteten Kosten und Aufwendungen einer Umsetzung. Insgesamt ist es fraglich, ob der geforderte Systemwechsel überhaupt einen zusätzlichen Nutzen hätte.» Die UFS ist froh über die deutlichen Worte des Aargauer Regierungsrates. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht hofft, dass der Grosse Rat mit deutlicher Mehrheit dem Empfehlung der Regierung Folge leistet.
Einen interessanten Bericht der Aargauer Zeitung zu diesem Thema finden Sie zudem hier: Aargauer Zeitung: Regierungsrat gegen Kürzung Sozialhilfe