Bedauern über EGMR-Entscheid
Gegen einen neuen, problematischen Gesetzesartikel im zürcherischen Sozialhilfegesetz hat die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS im Namen von drei auf Sozialhilfe angewiesenen Personen und mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Beschwerde eingereicht. Nun hat das Gericht entschieden, diese nicht entgegenzunehmen.
Eine vom Zürcher Kantonsrat 2019 beschlossene Gesetzesverschärfung greift massiv in die Grundrechte von sozialhilfebeziehenden Personen ein. Im Namen von drei auf Sozialhilfe angewiesenen Personen und mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen* hatte die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS im Juni 2020 eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Nun, im April 2021, hat ein EGMR-Einzelrichter kommentarlos entschieden, die Beschwerde nicht entgegenzunehmen.
Die Beschwerdeführenden nehmen diesen Entscheid mit grossem Bedauern zur Kenntnis. Der EGMR-Entscheid betrifft rund 50‘000 Personen im Kanton Zürich – davon sind rund ein Drittel Kinder und Jugendliche. Diese können behördliche Zwischenverfügungen im Grundsatz nun nicht mehr anfechten. Das ist diskriminierend. Faire Rechtsverfahren sind nicht mehr garantiert, was für die Betroffenen grosse Nachteile mit sich bringen kann. Bei der vorangegangenen Verhandlung am Bundesgericht hatten zwei der Richter den neuen Gesetzesartikel als «eines Rechtsstaates unwürdig» taxiert, waren dann aber knapp überstimmt worden.
Weitere Beschwerde möglich
Die Beschwerdeführenden nehmen die Behörden im Kanton Zürich nun in die Pflicht, den Grundrechten auch unter der neuen gesetzlichen Bedingung stets den Vorrang zu geben und die Einhaltung der verfassungsmässigen Rechte jederzeit zu garantieren. «Wir werden die weitere Entwicklung genau beobachten», sagt Anwalt Tobias Hobi von der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS. «Wir behalten uns eine erneute Beschwerde nach Strassburg mit einem konkreten Fall vor». Bei einem solchen konkreten Fall sind die juristischen Chancen beim EMGR höher einzuschätzen als bei der nun abgewiesenen Beschwerde. Letztere wurde als sogenannte abstrakte Normenkontrolle eingereicht, bei der das Gesetz im Grundsatz und ohne spezifischen Fall geprüft wird. Bei solchen Normenkontrollen sind die Erfolgschancen am EGMR grundsätzlich äussert gering. Dass die Beschwerdeführenden gleichwohl eine abstrakte Normenkontrolle anstrebten, ist der grossen Tragweite geschuldet, den die Gesetzesänderung für die Betroffenen im Kanton Zürich hat.
* neben der UFS auch Caritas Zürich, SAH Zürich, Sozialwerk Pfarrer Sieber und AvenirSocial ZH/SH
(publiziert: 28. April 2021, Bild: Blick auf das Gebäude des EGMR in Strassburg (Adobe Stock))