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Um die Rechte von 50'000 Personen zu schützen, reicht die UFS Beschwerde in Strassburg ein

Ein neues Gesetz im Kanton Zürich beschneidet die Grundrechte der Sozialhilfebeziehenden im Kanton Zürich. Diese diskriminierende Regelung will die Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS rückgängig machen.

Lange ging alles gut. Die junge Frau macht eine Lehre, schlägt sich mit ihrem knappen Lohn zweieinhalb Lehrjahre lang selbständig durch. Sie kommt knapp über die Runden. Doch dann, sieben Monate vor dem Lehrabschluss, reicht das Geld nicht mehr aus. Sie gerät in eine akute finanzielle Notlage. Sie meldet sich beim Sozialamt an. Dieses sagt der Frau, dass sie spätesten nach fünf Monaten eine Arbeitsstelle haben müssen. Sprich, die Frau müsste ihre Lehre zwei Monate vor dem Lehrabschluss abbrechen. Andernfalls will das Amt die Frau nicht unterstützen. Ein unsinniger Entscheid, der die junge Frau vor existenzielle Probleme stellt.

Gegen solche sogenannten Zwischenverfügungen von Sozialämtern können sich Sozialhilfebeziehende im Kanton Zürich seit Kurzem nicht mehr wehren. Der Grund ist eine vom Zürcher Kantonsrat beschlossene Gesetzesänderung, die genau diese Einschränkung zum Ziel hatte. In allen anderen Lebensbereichen bleiben Zwischenverfügungen aber anfechtbar. Sprich, die neue Regelung diskriminiert Sozialhilfebeziehende.

Bundesgerichtsentscheid mit «gesellschaftlicher Sprengkraft»

Im konkreten Beispiel müsste die junge Frau entweder ihre Lehre abbrechen – oder die Zwischenverfügung missachten. In letzterem Fall würden ihr die Leistungen gekürzt. Erst dagegen könnte sie sich wehren. Wenn sie ihre Lehre zu Ende führt, geht sie damit also ein für sie zu jenem Zeitpunkt nicht abzuschätzendes Risiko ein. Dass sie sich nicht bereits gegen die Zwischenverfügung wehren kann, ist also hochproblematisch.

Im Namen von drei Sozialhilfebeziehenden und fünf weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen hatte die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht die Gesetzesänderung deshalb beim Bundesgericht angefochten. Zwar erachteten auch zwei Bundesrichter in der öffentlichen Verhandlung den Gesetzesartikel als «eines Rechtsstaates unwürdig». Doch sie wurden von ihren drei Richterkolleginnen und -kollegen überstimmt. Das Bundesgericht wies die Beschwerde somit knapp ab. Der «Tages-Anzeiger» schrieb von einem «Entscheid mit politischer Sprengkraft».

Weitreichende Folgen

Aufgrund des Bundesgerichtsurteils trat das Gesetz in diesem April in Kraft. Das hat für  die Betroffenen weitreichende Folgen. Willkürlichen Entscheiden sind die Betroffenen zudem noch unmittelbarer ausgesetzt. Aus Sicht der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS ist das eine unhaltbare Situation. Aus der Praxis ihrer Rechtsberatungsstelle weiss sie zudem, dass Sozialämter viel zu oft unverhältnismässige Zwischenverfügungen ausstellen - das eingangs erwähnte Beispiel ist bei weitem kein Einzelfall.

Kleine Chance, die wir nutzen müssen

Die UFS hat nach einer eingehenden rechtlichen Prüfung entschieden, den Entscheid des Bundesgerichts beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg anzufechten (wie bei der Bescherde am Bundesgericht unterstützen auch die Caritas Zürich, das Sozialwerk Pfarrer Sieber und Avenir Social Zürich/ Schaffhausen unsere Beschwerde). Wir tun dies im Wissen darum, dass die Chancen für einen Erfolg rein rechnerisch nicht besonders gross sind: Ein Drittel der Beschwerden wird von den Richterinnen und Richtern in Strassburg direkt abgewiesen. Insgesamt werden zudem nur rund 10 Prozent der Beschwerden gutgeheissen. Kommt dazu, dass es sich bei der Beschwerde ans Bundesgericht um eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle handelte – es wird kein konkreter Fall überprüft, sondern der Gesetzestext an sich -, was zusätzliche und grosse juristische Hürden mit sich bringt.

Doch eine kleine Chance besteht. Und diese gilt es zu nutzen. Andernfalls bleiben die Grundrechte, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, von aktuell fast 50‘000 auf Sozialhilfe angewiesenen Personen – darunter rund ein Drittel Kinder und Jugendliche – verletzt. Das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern!

(Bild: iStock)

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