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Den Fokus auf Kinder in der Sozialhilfe richten

Kinder stehen selten im Fokus der Sozialhilfe. Aber sie sind häufig und sehr direkt von Entscheiden der Sozialdienste und der Sozialbehörden betroffen - und das leider nicht immer in einem positiven Sinn. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren.

«Sozialdienste müssen sich in erster Linie als beratende Stellen verstehen, und nicht als Auszahlungsstellen, die Kosten möglichst gering halten müssen. Und dann gilt es in einem zweiten Schritt zu fragen: Was brauchen Kinder respektive deren Familien, damit der Armutskreislauf durchbrochen werden kann?» Das sagen Sozialdienstleitende, die einen besonderen Fokus auf die Unterstützung von armutsbetroffenen Kindern legen. Die Realität sieht oft anders aus, wie ein Beispiel zeigt:

Kosten für ein Klassenlager

Die Mutter bezieht für sich und ihren Sohn Sozialhilfe und möchte, dass die Gemeinde die Kosten für ein Klassenlager übernimmt. Der Sozialdienst weist das entsprechende Gesuch zurück. Das Gesuch sei zu spät, nämlich erst nach dem Klassenlager eingereicht worden, lautet die Begründung. Die Mutter versteht die Welt nicht mehr, denn genauso wie dieses Mal hat sie es auch in den früheren Jahren gemacht - und nichts sei beanstandet worden. Alle Bemühungen, den Sozialdienst umzustimmen, fruchten nicht. Schliesslich springt die UFS mit ihrem kleinen Unterstützungsfonds selber in die Bresche. Ein genauer Blick zeigt, dass in diesem Fall seitens Klientin und des Sozialdienstes tatsächlich Fehler passiert sind: Gemäss mehrfach bestätigter Rechtsprechung des Zürcher Verwaltungsgerichts darf ein Antrag auf Kostenübernahme nicht ausschliesslich mit der Begründung abgewiesen werden, dass das Gesuch zu spät eingereicht worden sei (siehe z.B. Urteil VB.2004.00019 vom 5.3.2024). Allerdings hat die Klientin anschliessend die Frist für eine allfällige Einsprache verpasst. Aber wäre mit Blick auf die gesellschaftliche Teilhabe des Sohnes und den für die Gemeinde geringen Betrag nicht eine unbürokratischere Herangehensweise besser gewesen?

Unwürdiges Zufallsprinzip auch für Kinder in der Sozialhilfe
Ein zweites Beispiel zeigt, wie verheerend sich der schweizerische Flickenteppich in der Sozialhilfe auf die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern auswirken kann. Es stammt aus der Studie HarmSoz der beiden Wissenschafter Christophe Roulin und Benedikt Hassler von der FHNW. Die beiden Wissenschafter haben zahlreiche Sozialdienste in fünf Kantonen befragt, ob sie die Kosten für ein Skilager, an dem ein minderjähriger Jugendlicher teilnehmen möchte, übernehmen würden. Die Antworten hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die einen bezahlen solche Auslagen ohne Umschweife, weil sie Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen hoch gewichten. Andere beschränken sich auf einen Teil, damit eine gesellschaftliche Teilhabe zwar möglich bleibt, aber die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Dritte lehnen eine Kostenübernahme für ein Skilager kategorisch ab, da ein Skilager Luxus sei, was nicht durch die Sozialhilfe gedeckt werden müsse.

Den Teufelskreis Armut durchbrechen
Dass es in der Sozialhilfe oft der pure Zufall ist, der darüber entscheidet, ob man angemessen oder knausrig unterstützt wird, haben wir in mehreren Newslettern dargelegt. Besonders stossend ist, dass auch Kinder und Jugendliche Teil dieses Zufallsprinzips sind. Denn Investitionen in das Wohlergehen und die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern lohnen sich. Praktisch alle namhaften Studien, die sich mit Kinderarmut befassen, weisen nach, dass eine gesellschaftliche Teilhabe mit möglichst geringen Einschränkungen eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Kinder und Jugendliche den Teufelskreis der Armut durchbrechen und sich langfristig aus der Sozialhilfe befreien können. «Eine fehlende materielle Absicherung bedeutet für Kinder und Jugendliche nicht nur eine Beschneidung ihres Rechtes auf einen angemessenen Lebensstandard, sondern behindert sie weitreichend darin, ihre Rechte wahrzunehmen und ihre volles Potenzial zu entfalten,» sagt dazu Prof. Dr. Jean-Michel Bonvin von der Universität Genf.

Kinderarmut - kein Ruhmesblatt in der Schweiz
Die Caritas schreibt, dass in der Schweiz 133'000 Kinder direkt von Armut betroffen und weitere 184'000 armutsgefährdet sind. Im Durchschnitt gebe es in jeder Schulklasse ein bis zwei armutsbetroffene und zwei armutsgefährdete Kinder. Rund ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind Kinder. Die Sozialhilfequote bei Kindern und Jugendlichen liegt bei rund 4,8 Prozent - fast doppelt so hoch wie bei der Gesamtbevölkerung. Das Bundesamt für Sozialstatistik hat nachgewiesen, dass rund 5.5 Prozent nicht in der Lage sind, regelmässig an kostenpflichtigen Freizeitaktivitäten teilzunehmen (Stand 2021).

Negative Beeinflussung der Zukunftschancen
Armut prägt die Kinder stark und beeinflusst ihre Zukunftschancen negativ: «Die Wahrscheinlichkeit, dass Armut über Generationen weitergegeben wird, ist hoch. Laut einer 2018 veröffentlichten OECD-Studie braucht es in der Schweiz durchschnittlich fünf Generationen, bis die Nachkommen des ärmsten Dezils der Bevölkerung in die Mittelschicht aufsteigen. Das alles ist bekannt und bekannt ist auch, unter welchen Voraussetzungen der Teufelskreis Armut am besten durchbrochen werden kann. Es gilt, armutsbetroffene Kinder grosszügig zu unterstützen und deren gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Lösungen, die die besondere Situation von Familien angemessen berücksichtigen, müssen auch nicht mehr erfunden werden. Die Kantone Genf, Waadt, Tessin und Solothurn kennen Ergänzungsleistungen für Familien. In Freiburg sollen sie demnächst eingeführt werden, in Basel-Stadt werden sie geprüft. Die Resultate in den vier Kantonen, die Familien-EL haben, sind äusserst positiv. Die Armut von Familien konnte deutlich gesenkt, die Chancen, aus dem Teufelskreis Armut auszubrechen entsprechend markant erhöht werden.

Sich für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einsetzen
Doch auch dort, wo es dieses Instrument noch nicht gibt, kann im Sinne der Kinder und Jugendlichen deutlich besser gehandelt werden, als es heute vielerorts der Fall ist. In ihrer Bachelorarbeit schreiben Jana Tscherednikowa und Indra Luana (Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit): «Erst wenn Sozialarbeitende sich für betroffene Kinder einsetzen und ihre Bedürfnisse wahrnehmen und berücksichtigen, kann eine förderliche Entwicklung gewährleistet werden. Kinder müssen von der Sozialhilfe zwingend als autonome Rechtssubjekte anerkannt und als eigenständige Fälle mit kinderspezifischen Bedürfnissen bearbeitet werden.» Dazu braucht es eigentlich nur gesunden Menschenverstand bei den Mitarbeitenden von Sozialdiensten und bei den Sozialbehörden. Leider ist dieser nicht allen Gemeinden anzutreffen.

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