Die Armut, nicht die Armen bekämpfen.
Aufklärung und objektive Informationen zur Sozialhilfe sind wichtiger denn je. Die Stimmbevölkerung des Kantons Baselland hat am Abstimmungssonntag vom 15. Mai entschieden, die Höhe des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt (GBL) bei Langzeit-Sozialhilfempfangenden unter das von SKOS errechnete Existenzminimum zu senken. Die Stimmbevölkerung von Solothurn ihrerseits hat eine von der SVP lancierte Initiative verworfen, mit der Flüchtlingen die Sozialhilfe massiv hätte gekürzt werden sollen. Die Signale zur Sozialhilfe aus den beiden Nachbarkantonen sind also durchaus gegensätzlich. Beide machen aber deutlich: Das Thema Sozialhilfe darf nicht denjenigen Kräften überlassen werden, die einen Abbau der Sozialhilfe anstreben. Das Wesen der Sozialhilfe und die Lebensumstände von Sozialhilfeempfangenden bleiben in hohem Masse erklärungsbedürftig. Sozialhilfe will Armut bekämpfen und nicht – wie dies nun im Kanton Baselland leider teilweise der Fall ist – die Armen. Dafür setzt sich die UFS ein.
Bekämpfung von Armut – nicht der Armen
In Baselland erhalten Personen, die seit zwei Jahren Sozialhilfe beziehen. künftig jeden Monat CHF 40.-- weniger für den Grundbedarf. Dafür gibt es Zuschüsse für Personen, die beispielsweise ein Beschäftigungsprogramm absolvieren oder eine Ausbildung machen. Zudem soll ein neuartiges Assessmentcenter geschaffen werden. Die Befürworter der Gesetzesrevision stellten diese Motivationsaspekte ins Zentrum, wie sie auch Regierungsrat Anton Lauber (Die Mitte) nach dem für ihn erfolgreichen Urnengang formulierte: «Mit dem neuen Gesetz kann man in den entscheidenden ersten beiden Jahren der Sozialhilfe die Motivation und damit die Chancen auf die Integration erhöhen.» (bzbasel.ch, 15.5.2022). Diese Argumentation erschliesst sich den Kritiker:innen der Gesetzesrevision, zu der unter anderem auch die UFS zählt, nicht. Leif Simonsen, Redaktor der Basler Zeitung, hat es in seinem Kommentar zur Gesetzesrevision auf den Punkt gebracht: «Der allergrösste Teil der Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger sehnt sich bereits heute nach einem Job. Eine Krankheit oder der psychische Zustand verunmöglicht aber eine geregelte Arbeit. Wieder für andere gibt der Arbeitsmarkt schlicht nichts her – beispielsweise weil sie vor dreissig Jahren etwas gelernt haben, was heutzutage nicht mehr gefragt ist. Es bleiben extrem wenige, die sich in ihrer Rolle als Sozialhilfebebzüger wohlfühlen.» Es bleibt das ungute Gefühl, dass mit der Revision des Baselbieter Sozialhilfegesetzes zwar von Motivation der Sozialhilfeempfangenden gesprochen wird, aber die Bekämpfung der Armen gemeint ist. Schon heute können Sozialhilfeleistungen gekürzt oder gar eingestellt werden, wenn unterstützte Personen nicht alles Zumutbare unternehmen, um sich von der Sozialhilfe abzulösen. Dazu braucht es das neue Gesetz nicht. Dass der wohlhabende Kanton Baselland nun Langzeit-Sozialhilfeempfangenden, die keine Chance auf eine geregelte Erwerbstätigkeit haben, die ohnehin karge Sozialhilfe kürzt, ist nicht würdig.
Etikettenschwindel an vielen Fronten
Die Sozialhilfeempfangenden zu motivieren, durch Beitragskürzungen wieder im Erwerbsleben tritt zu fassen, davon spricht immer auch die Schweizerische Volkspartei SVP. Sie führt dann oft den Slogan «Motivation statt Sanktion» ins Feld. Dieser Grundsatz stand auch dem ursprünglichen Vorstoss im Kanton Baselland Pate, womit die Partei noch viel weitergehende Kürzungen der Sozialhilfe hätte durchsetzen wollen. Sie liess ihre radikalen Forderungen zu Gunsten der nun angenommenen Revision fallen. Die SVP hat zusammen mit rechtsbürgerlichen Mitstreiter:innen in jüngerer Zeit in verschiedenen Kantonen mit gleichartigen oder ähnlichen Vorstössen versucht, den Sozialhilfeempfangenden das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist. Der Grosse Rat des Kantons Aargau hat erst kürzlich zwei Vorstösse definitiv versenkt, die eine massive Kürzungen der Sozialhilfe verlangt haben. Dass sich die Sozialhilfe am Existenzminimum orientiert und dieses in der Schweiz ausserordentlich knapp berechnet wird, liessen sie im Aargau wie anderswo gerne ausser acht. Zum Glück gaben im Aargau die Regierung und das Parlament Gegensteuer.
Gescheiterte Initiative in Solothurn
Ganz offen gegen Menschen in Armut richtete sich die SVP-Initiative «Weniger Sozialhilfe für Scheinflüchtlinge». Die Sozialhilfe hätte für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene «erheblich» gekürzt werden sollen – wobei es die Initiant:innen versäumten, sowohl den Begriff «erheblich» wie den Begriff «Scheinflüchtling» zu definieren. 55 Prozent der Stimmenden lehnten die Initiative ab. Sie liessen sich von den guten Argumenten der geschlossenen Gegnerschaft überzeugen. Die Gegner:innen der Initiative zeigten auf, dass ein Sozialhilfeabbau kein bisschen am Umstand ändere, dass die Ausreise der Abgewiesenen in ihr Herkunftsland für unbestimmte Zeit nicht möglich, nicht zumutbar oder unzulässig sei. Und dass es deshalb sinnvoller sei, Geld in Integrationsmassnahmen zu stecken. Immerhin 45 Prozent aber unterstützten das Vorhaben. Auch dies zeigt den hohen Erklärungsbedarf auf, der mit der Sozialhilfe verbunden ist.
Sozialhilfeempfangende haben keine Lobby
Bei praktisch allen in den letzten Wochen und Monaten diskutierten Vorstössen handelte es sich um Angriffe auf die Sozialhilfe und auf die Sozialhilfeempfangenden. Vor allem rechtsbürgerliche Kreise kultivieren das Bild von Sozialhilfeempfangenden, als auf der faulen Haut liegende Sozialschmarotzer:innen, die sich mit der kargen Sozialhilfe ein schönes Leben machen. Diese in der Regel durch die SVP orchestrierten Angriffe auf die Sozialhilfe zeigen durchaus Wirkung, wie der Journalist Andres Eberhard in einem sehr lesenswerten Artikel auf infosperber.ch aufzeigte: «In mehreren Kantonen wurden in den vergangenen Jahren Verschärfungen für einzelne Personengruppen, vor allem Asylsuchende oder Ausländerinnen und Ausländer, beschlossen. Zudem weicht die SKOS als Folge des politischen Drucks von wissenschaftlichen Empfehlungen ab. So liegt der von der SKOS empfohlene Grundbedarf rund 100 Franken unter dem Existenzminimum. Ausserdem gerieten auch Sozialarbeitende unter enormen Druck, das geltende Recht restriktiv durchzusetzen. Niemand wollte das Risiko eingehen, dass es zu einem Missbrauchsfall kommt, der öffentlich wird.» (Link zum Artikel: https://www.infosperber.ch/gesellschaft/finale-schlacht-um-radikale-svp-forderung/). Die SKOS definierte das soziale Existenzminimum bis 2018 beim Einkommen der 10 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte. 2018 hat sich die SKOS von dieser auf wissenschaftlicher Faktenbasis beruhenden Berechnung abgewandt.
Konstruktive und proaktive Diskussionsbeiträge fehlen
Schade ist, dass die fortschrittlicheren Parteien von der FDP über die Mitte, der GLP bis zur SP und den Grünen das Feld «Sozialhilfe» weitgehend den rechtsbürgerlichen Kräften um die SVP überlassen. Sie lassen es dadurch zu, dass das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt so wichtige Werk der Sozialhilfe von der Öffentlichkeit ausschiesslich in einem schlechten Licht wahrgenommen wird. Allenfalls reagieren fortschrittlichere Kräfte auf besonders stossende Angriffe, und tragen so dazu bei, dass das Schlimmste vermieden wird. Proaktive Vorstösse, welche die Sozialhilfe wDie Sozialhilfe hat keine Lobby. Schade. Es ist dringend nötig und wichtig, dass sich auch konstruktive Kräfte öffentlich intensiv dem Thema «Sozialhilfe in der Schweiz» annehmen. Denn Armut ist kein Verbrechen und die angemessene Hilfe in der Verfassung festgeschrieben.