Grosse Unterschiede in der Sozialhilfe
Ende März hat die SKOS ihr Monitoring zur Sozialhilfe veröffentlicht. Das Monitoring zeigt deutlich, dass es von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde erhebliche Unterschiede sowohl in der Höhe der ausbezahlten Beträge sowie auch bei den Rahmenbedingungen für die Sozialhilfe gibt. Armut wird ganz offensichtlich von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich definiert. Das darf nicht sein. Armut kennt keine Grenzen. Das Monitoring bestärkt die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht in der Forderung, die Sozialhilfe auf Bundesebene zu harmonisieren.
Ein Rüebli kostet im Kanton Bern etwa gleichviel, wie ein Rüebli im Kanton Zürich. Socken sind im Kanton Aargau vermutlich nicht signifikant günstiger als im Kanton Glarus. Nahrungsmittel und Kleider sind zentrale Elemente des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt (GBL), wie ihn die SKOS in ihren Richtlinien definiert. Zum GBL zählen zudem Kosten für Getränke und Tabak, persönliche Körperpflege, Kosten für die Haushaltführung, den öffentlichen Verkehr und manches mehr. Der GBL ist ein wesentlicher Pfeiler der Sozialhilfe.
Das Gleiche ist in der Sozialhilfe nicht gleich
Seit diesem Jahr empfiehlt die SKOS den Sozialämtern, bei Einpersonenhaushalten für den Grundbedarf CHF 1006.-- zu entrichten. 17 Kantone folgen dieser Empfehlung. Vier Kantone entrichten CHF 997.-- , drei verharren bei CHF 986.-- (Empfehlung von 2013), einer – der Kanton Bern - bei CHF 977.-- (Empfehlung von 2011). Nur ein Kanton ist grosszügiger, als es die SKOS empfiehlt. Der Kanton Waadt kombiniert den Grundbedarf mit der Integrationszulage und entrichtet verhältnismässig stolze CHF 1110.--. Im Kanton Waadt haben Sozialhilfeempfangende für die Deckung ihres Grundbedarfs also pro Monat CHF 133.-- mehr zu Verfügung als derzeit im Kanton Bern.
Am Abstimmungssonntag vom 15. Mai 2022 hat zudem der Kanton Basel-Land bei der Revision des Sozialhilfegesetzes entschieden, die Höhe des Grundbedarfs bei Personen die lange Zeit ohne Arbeit sind, unter das von der SKOS definierte Existenzminimum zu kürzen. Was der Kanton Baselland am 15. Mai 2022 vollzogen hat, hat Pierre Heusser, damals noch Vertrauensanwalt der UFS und heute Ombudsmann der Stadt Zürich, in einem lesenswerten Artikel für die UFS vorhergesagt. Ursprünglich hat die SKOS die Höhe des Grundbedarfs nach rein wissenschaftlichen Kriterien definiert. Bei der Revision der Richtlinien 2018 ist sie davon abgewichen und hat sich bei der Definition des Grundbedarfs auch auf verschiedene politische Überlegungen gestützt. Pierre Heusser schrieb damals: «Es war genau die ursprüngliche solide Faktenbasis, die zur damaligen breiten Akzeptanz des SKOS-Grundbedarfs führte. Heute kann man provokativ fragen, wozu es die SKOS überhaupt noch braucht? Denn für die Bestimung des Grundbedarfs nach rein politischen Kriterien braucht es keine Fachorganisation. Das können die kantonalen Parlamente auch selber.» (Link zum ganzen Artikel: https://sozialhilfeberatung.ch/files/2018-03/sozialesexistenzminimum-pierre-klein.pdf).
Grosse Differenzen bei den Jungen
Noch grösser sind die Unterschiede bei der Berechnung des Grundbedarfs für junge Erwachsene, wie die SKOS schreibt: «Die Bandbreite reicht von CHF 457 bis CHF 997. Die verschiedenen Lebensformen (Zweck-Wohngemeinschaft oder eigener Haushalt) werden sehr unterschiedlich berücksichtigt. In sechs Kantonen erhalten junge Erwachsene – unabhängig von ihrer Lebensform bzw. ihrer Wohnsituation – denselben Grundbedarf.» (SKOS-Monitoring S. 7). Auch wer als junger Erwachsener oder junge Erwachsene gilt, ist je nach Kanton durchaus unterschiedlich: Meistens endet die Lebensphase«Junge Erwachsene» mit 25 Jahren, da und dort darf resp. muss man sich aber bis 30 oder 35 als jung fühlen. Die SKOS zieht als Fazit: «Das SKOS-Monitoring zeigt, dass der Grundbedarf für junge Erwachsene sehr unterschiedlich ausgerichtet und die effektive Lebenssituation nicht immer berücksichtigt wird.»
Grosse Unterschiede als roter Faden
Die grossen Unterschiede ziehen sich im SKOS-Monitoring wie ein roter Faden durch alle Kapitel, sei es bei der medizinischen Grundversorgung, den Integrationszulagen und Einkommensfreibeträgen oder bei situationsbedingten Leistungen. Bei den Wohnkosten unterscheiden sich die Mietzinsrichtlinien selbstverständlich von Gemeinde zu Gemeinde. Eine Wohnung in einer Kernstadt ist üblicherweise mit höheren Mietzinsen verbunden, als eine Mietwohnung in einem abgelegenen ländlichen Ort. Aber für alle Gemeinden gilt: «Die erlassenen Mietzinsrichtlinien dürfen nicht dazu dienen, den Zu- oder Wegzug von wirtschaftlich schwachen Personen zu steuern.» (SKOS-Monitoring 2021, S. 8) Ob diesem Grundsatz nachgelebt wird, wenn in bestimmten Gemeinden rund 50 Prozent oder mehr der Sozialhilfebeziehenden bei den Mietkosten die Mietzinsrichtlinien übersteigen, darf mit Fug und Recht in Frage gestellt werden.
Verdienen ist immer gut – aber nicht überall gleich gut
Als letztes Beispiel verweisen wir auf sehr unterschiedliche Praxen bei der Rückerstattungspflicht von empfangenen Sozialhilfeleistungen und fokussieren hier auf die Rückerstattungspflicht, wenn ehemalige Sozialhilfeempfangende wieder ein regelmässiges Einkommen erhalten.
Rechtmässig bezogene Unterstützungsleistungen müssen grundsätzlich rückerstattet werden, wenn eine ehemals unterstützte Person in günstige finanzielle Verhältnisse gelangt. In den SKOS-Richtlinien wird empfohlen, auf die Rückerstattung aus Erwerbseinkommen zu verzichten. Dort, wo Kantone eine gesetzliche Grundlage zur Rückerstattung aus Erwerbseinkommen vorsehen, empfiehlt die SKOS, eine grosszügige Einkommensgrenze zu gewähren und die zeitliche Dauer der Rückerstattung auf maximal vier Jahre zu begrenzen.
Die Praxis könnte hier von Kanton zu Kanton kaum grösser sein: Neun Kantone verlangen keine Rückerstattung, wenn sich die Verhältnisse aufgrund von Einkommen verbessert haben. Neun Kantone sehen in Ausnahmefällen eine Rückerstattung vor. Fünf Kantone verwenden eigene Berechnungsgrundlagen mit teilweise tieferen Einkommensgrenzen und drei haben die Frage nicht beantwortet. Noch disperser sieht es bei der Zeitdauer aus, während denen Gemeinden auf die Entrichtung von Ratenzahlungen pochen. Hier stossen wir auf Gemeinden, welche die Dauer der Rückzahlung auf weniger als vier Jahre begrenzen, solche, die sich an der Empfehlung der SKOS orientieren und solche die eine längere Frist setzen.
Armut orientiert sich nicht an Gemeindegrenzen
Die SKOS zieht bei der Analyse ihres Monitorings selber ein weitgehend positives Fazit: «Die Auswertung der einzelnen Themenbereiche zeigt, dass die SKOS-Richtlinien das Ziel der Harmonisierung der Sozialhilfe zwischen den Kantonen grossmehrheitlich erreichen.» Diesem Fazit können wir nicht folgen. Vielmehr stellen wir je nach Kanton und Gemeinde gravierende Unterschiede in der Sozialhilfe fest. Armut aber orientiert sich weder an Kantons- noch an Gemeindegrenzen. Die grossen Unterschiede empfinden wir stossend. Die SKOS-Richtlinien sind zweifellos ausserordentlich wertvoll. Aber im Endeffekt sind es – wie das Monitoring deutlich aufzeigt – lediglich Empfehlungen. Es ist höchste Zeit, dass entweder der Bund oder die Kantone im Rahmen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK die Harmonisierung deutlich verstärken. Dies wäre umso naheliegender, als dass die SODK die SKOS-Richtlinien jeweils genehmigen muss, bevor diese in Kraft treten. Weshalb sich viele Kantone nicht an die Richtlinien halten, die von ihren Sozialdirektor:innen genehmigt worden sind, ist ein Mysterium.