Kein Zwang zum Vorbezug von Pensionskassenguthaben
Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hat die Praxis eines Sozialdienstes beurteilt, der einen Sozialhilfebezüger zum Vorbezug des BVG-Guthabens verpflichtete. Das Verwaltungsgericht hat dem Ansinnen eine deutliche Abfuhr erteilt. Es beurteilte diese unschöne Praxis gleich, wie das Zürcher Verwaltungsgericht, das eine ähnliche Beschwerde zu prüfen hatte. Während sich das Zürcher Verwaltungsgericht aber aufgrund einer unterschiedlichen Rechtsgrundlage im Kanton Zürich auf die SKOS-Richtlinien stützte, argumentierte das St. Galler Verwaltungsgericht mit bundesrechtlichen Normen und Bundesgerichtsentscheiden. Laut dem Gericht wird durch die Verpflichtung zum Vorbezug des BVG-Guthabens der bundesrechtliche Vorsorgeschutz verletzt und unverhältnismässig in die Altersvorsorge eingegriffen. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS, die den Sozialhilfebezüger vertreten hatte, beurteilt dieses Urteil als wegweisend für den Schutz von Sozialhilfebeziehenden.
Armutsbetroffener kommt an den Rand der Existenzsicherung
Eine St. Galler Gemeinde hatte die Sozialhilfeleistungen für einen Schweizer Sozialhilfebezüger eingestellt mit dem Hinweis, er könne sein angespartes Altersguthaben beziehen und bis zum Bezug der AHV-Rente davon leben. Der betroffene Arbeitslose hat wenige Jahre vor der Pensionierung seine Stelle verloren. Bis zum Bezug von Sozialhilfeleistungen musste er seine sämtlichen Ersparnisse aufbrauchen. Die wiederholten Leistungseinstellungen durch die Sozialbehörde brachten ihn an den Rand der Existenzsicherung.
Zweite Säule nur ergänzend zur AHV auflösen
Bereits im März letzten Jahres hatte das Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen entschieden, dass es für den Betroffenen nicht zumutbar sei, bis zur Erreichung des Pensionsalters von seiner Altersvorsorge leben zu müssen. Diese diene dem Lebensunterhalt im Alter und solle frühestens zusammen mit der AHV-Rente bezogen werden. Das Verwaltungsgericht bestätigt nun den Entscheid der Vorinstanz und bezieht sich dabei auf verschiedene Bundesgesetze und Bundesgerichtsentscheide, welche den Schutz von Vorsorgeguthaben sichern. Auch der Bundesrat habe in seiner Botschaft zu den Überbrückungsleistungen festgehalten, dass die Freizügigkeitsguthaben der 2. Säule nur ergänzend zu einer AHV-Altersrente aufgelöst werden sollen, damit der Vorsorgezweck erhalten bleibe. Zudem würde das unfreiwillig bezogene Freizügigkeitsguthaben der von Bundesrechts wegen bis zum tatsächlichen Bezug geschützten Invalidenvorsorge entzogen.
Wegweisendes Urteil
Das Urteil des St. Galler Verwaltungsgericht hat eine wegweisende Bedeutung über die Kantonsgrenzen hinaus. In denjenigen Kantonen, in denen eine solche Praxis anzutreffen ist, ist die Rechtslage praktisch identisch und die vom Gericht angerufenen bundesrechtlichen Normen und Bundesgerichtsentscheide zum Schutz von Vorsorgeguthaben sind auch dort zu beachten.
Schutz von Vorsorgeguthaben respektieren!
Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht fordert, dass Sozialdienste in der ganzen Schweiz den bundesrechtlichen Schutz von Vorsorgeguthaben respektieren. Die von den Betroffenen durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge lebenslang angesparten Altersguthaben solle nicht von einzelnen Gemeinden ihrem verfassungsrechtlichen Zweck, nämlich der Erhaltung des gewohnten Lebensunterhaltes im Alter, entzogen werden.
Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Der Entscheid im Wortlaut: Urteil Verwaltungsgericht St. Gallen