2.5.2018: Kommt, wir basteln uns eine Sozialpolizei…
… eigentlich müsste es heissen, kommt, wir basteln uns mehrere Sozialpolizeien. Arbeiten doch gegenwärtig Bund, zahlreiche Kantone und mindestens eine Gemeinde an neuen Gesetzen, damit Sozialversicherer und Sozialämter ihre Klienten mit unterschiedlichen Hilfsmitteln verdeckt observieren dürfen. Sozialhilfe- und Sozialversicherungsbeziehende, mit GPS-Trackern, Drohnen etc. ohne richterliche Genehmigung bespitzeln? Angeordnet sowie überwacht von und durch Sozialversicherungen und Sozialämter? Braucht es das wirklich? Wir meinen definitiv nein. Verdeckte Überwachungen gehören zur Aufgabe der «normalen» Polizei.
Woher rührt dieser plötzliche Aktionismus? Anlass ist ein Entscheid des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der EGMR kam Ende 2016 zum Schluss, die Schweiz kenne keine rechtlichen Grundlagen für verdeckte Überwachungen durch Sozialhilfeversicherer. Das Gericht hielt fest, der Schweizer Gesetzgebung fehlten jegliche Regeln für Bewilligung und Aufsicht von Überwachungen von Versicherten. Ausserdem schweige sich das Gesetz vollkommen aus über die Überwachungsdauer, über den Rechtsschutz, über die Aufbewahrung, die Verwendung, die Prüfung, die Mitteilung und die Vernichtung von Überwachungsdaten. Während Sozialversicherer bis zum Urteil der Strassburger Richter, Leistungsbeziehende jahrelang ohne gesetzliche Grundlagen verdeckt überwachten, haben sie sich zukünftig an extra für sie geschaffene rechtliche Rahmenbedingungen zu halten. Somit ist doch alles in bester Ordnung? Bevor wir diese Frage beantworten, folgen zuerst einige Beispiele von Sozialpolizeien, die zurzeit am Entstehen sind:
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National- und Ständerat haben in Rekordtempo ein Gesetz verabschiedet, damit Sozialversicherer wie IV, AHV, Krankenkassen und Arbeitslosen- sowie Unfallversicherungen leistungsbeziehende Personen ohne richterliche Genehmigung verdeckt überwachen dürfen. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Die Referendumsfrist läuft.
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Aber nicht nur auf Ebene Bund wird zurzeit an einer Sozialpolizei gebastelt. Da die Sozialhilfe keine Sozialversicherung ist und kantonal geregelt ist, wollen diverse Kantone rechtliche Grundlagen schaffen, um Sozialhilfebeziehende verdeckt zu überwachen, mittels- Bild sowie Tonaufzeichnungen zu bespitzeln, in Scheingeschäfte zu verwickeln und ihre Autos mit GPS-Trackern zu verwanzen. Diskutiert wird darüber z.B. im Kanton Aargau oder im Kanton Zürich, wo die Totalrevision des Sozialhilfegesetzes ansteht. Im Entwurf zum revidierten Sozialhilfegesetz heisst es unter § 77 b SHG:
«Die Sozialhilfeorgane können die betroffene Person zur Überprüfung und Klärung der Verhältnisse verdeckt observieren und dabei technische Hilfsmittel zur Bildaufzeichnung einsetzen...» -
Auch auf Gemeindeebene wird an Rechtsgrundlagen für verdeckte Observationen gebastelt. Gegen das entsprechende Vorhaben der Stadt Zürich, werden Grüne, AL, Demokratische JuristInnen Zürich, Grundrechte.ch und die UFS demnächst einen Rekurs einreichen.
Sozialhilfe- und Sozialversicherungsbeziehende, mit GPS-Trackern, Drohnen etc. ohne richterliche Genehmigung bespitzeln? Angeordnet sowie überwacht von und durch Sozialversicherungen und Sozialämter? Braucht es das wirklich? Wir meinen definitiv nein. Nicht zuletzt deswegen, weil Sozialhilfe- und Sozialversicherungsbeziehende, die unrechtmässig Leistungen beziehen, sich gemäss Strafartikel 148a StGB umgehend strafbar machen. Dabei handelt es sich um ein Offizialdelikt, das von den beteiligten Staatsangestellten aufgrund ihrer Anzeigepflicht in aller Regel zwingend zur Strafanzeige gebracht werden muss. Somit gehören die verdeckten Überwachungen in den Aufgabenbereich der «normalen» Polizei. Die Schaffung zusätzlicher Sozialpolizeien, egal ob es sich dabei um Angestellte von Gemeinden oder Privatdetektive handelt, ist nichts anderes als ein unnötiges und kostspieliges Gebastel, das jeden von uns treffen kann.
Auch Rechtsprofessor Kurt Pärli von der Universität Basel sieht keine Notwendigkeit für die Schaffung einer Sozialpolizei: Dieses Gesetz unterhöhlt den Sozialstaat.