Sozialhilfedetektive sind keine Lösung
Am 7. März stimmt der Zürich über Sozialhilfedetektiven ab. Das sind die Gründe, weshalb die UFS als Fachorganisation die Vorlage ablehnt.
Stellen Sie sich vor, jemand Fremdes klingelt immer wieder an deiner Wohnungstür und verlangt unverzüglichen Zutritt zu deiner Wohnung? Was löst das bei Ihnen aus?
Genau das ist einer Frau passiert, die in einem Kanton lebt, in welchem bereits Sozialdetektive im Einsatz sind. Wegen einer Angststörung rutschte sie in die Sozialhilfe. Und wurde bald observiert. Grund: Ihre Wohnung kostete mehr, als die Sozialbehörde zu zahlen bereit war. Weil sie trotzdem nicht auszog und die Differenz aus dem Sozialhilfegeld berappte – «meine Wohnung ist der einzige Ort, wo ich mich sicher fühlte» –, vermuteten die Behörden ein Zusatzeinkommen.
Mehrmals hätten Sozialinspektoren bei ihr geklingelt: «Ohne Voranmeldung wollten sie in meine Wohnung und mit mir ein Gespräch führen. Ich kannte diese Leute nicht.» Das verunsicherte die Frau derart, dass sie sich nicht mehr traute, die Tür zu öffnen, geschweige denn aus dem Haus zu gehen: «Ich bekam schon Panik, wenn ich Schritte im Treppenhaus hörte.» Und dann waren da eines Tages wieder Schritte zu hören, aber geklingelt wurde bei der Nachbarin. Die Frau spähte durch den Spion und sah, wie zwei Inspektoren ihre Nachbarin ausfragten.
Observation endet ohne Ergebnis, aber mit einer traumatisierten Frau
Die Observation der Frau wurde ohne Ergebnis eingestellt. Die betroffene Frau lebt noch immer in ihrer Wohnung und erhält inzwischen eine IV-Rente. Von der Observation hat sie sich bis heute nicht wirklich erholt. Die Türklingel hat sie stumm geschaltet, noch immer zuckt sie zusammen, wenn sie Schritte im Treppenhaus hört.*
Solches passiert Sozialhilfebeziehenden, wenn das Amt sie von Sozialhilfedetektiven ausspionieren lässt. Andere werden über Wochen in der Öffentlichkeit überwacht. Nun soll im Kanton Zürich die rechtliche Grundlage für Sozialhilfedetektive geschaffen werden – die Abstimmung dazu findet am 7. März statt. Wir von der UFS lehnen Sozialhilfedetektive grundsätzlich ab.
Das sind die Hauptkritikpunkte der UFS:
- Observationen von Sozialhilfebeziehenden sind hochproblematisch. Speziell, weil sie tief in die Privatsphäre der Armutsbetroffenen eingreifen und bei den Betroffenen grossen Stress verursachen und enorme Ängste auslösen.
- Wenn Sozialämter eine Überwachung anordnen, sind sie Partei und Untersuchungsbehörde in einem. Das ist rechtsstaatlich bedenklich.
- Sozialhilfebeziehende werden noch stärker unter Generalverdacht gestellt. Schon ohne die Überwachungen müssen sie den Behörden weitgehende Einblicke in ihr Privatleben gewähren. Studien zeigen, dass sich über 96 Prozent der Sozialhilfebeziehenden korrekt verhalten. Dennoch soll die Observations- und Misstrauenskultur in der Sozialhilfe durch die Detektive im Kanton Zürich nun noch weiter ausgebaut werden.
- Bei Verdacht können die Sozialhilfeorgane bereits heute eine Strafanzeige einreichen. Polizei und Staatsanwaltschaft führen dann im Rahmen des detaillierten Regelwerks der Strafprozessordnung, die EMRK-konform ist, Ermittlungen durch. Für die Einleitung eines Strafverfahrens braucht es einen Anfangsverdacht und für die Einleitung von verdeckten Ermittlungen braucht es eine richterliche Genehmigung. Es ist es deshalb aus unserer Sicht in keiner Art und Weise erforderlich, dass die Sozialhilfeorgane selber «Polizei spielen» und Sozialhilfebeziehende selber verdeckt überwachen. Und dies mit weniger rechtlichen Leitplanken als dies bei Strafverfahren der Fall ist.
Aus fachlicher Sicht empfiehlt die UFS deshalb den Zürcher*innen, am 7. März «Nein» zu stimmen.
* So berichtet der «Tages-Anzeiger» am 16. Februar 2021 über einen Fall, den die UFS begleitet hat – die Abschnitte werden leicht gekürzt wiedergegeben. Das Protokoll einer weiteren Überwachung, bei der eine Frau in der Öffentlichkeit beschattet wurde, finden sich hier.
(publiziert: 18. Februar 2021)