«Sozialhilfe ist doch keine Lotterie!»
Seit Jahren verlangt die UFS eine Harmonisierung der Sozialhilfe auf Bundesebene. Bislang stets erfolglos. Letztmals hat im Juni der Nationalrat eine Motion von Nationalrätin Kathrin Prelicz-Huber (Grüne) verworfen, mit der diese ein nationales Mantelgesetz für die Sozialhilfe forderte. Wieso wäre für die UFS eine Harmonisierung so wichtig? UFS-Geschäftsleiter Andreas Hediger nimmt Stellung.
Eine Harmonisierung der Sozialhilfe auf Bundesebene hat offensichtlich keine Chance. Trotzdem hält die UFS unbeirrt an dieser Forderung fest. Andreas Hediger: Was sind für Sie die wichtigsten Gründe?
AH: Positiv formuliert ist die Sozialhilfelandschaft heute äusserst bunt. Jeder Kanton hat sein eigenes Sozialhilfegesetz; es gibt also deren 26. Diese unterscheiden sich stark, und zwar in fast jeder Hinsicht. Ebenso unterschiedlich sind die Ausführungsbestimmungen und Umsetzungsrichtlinien, die gelten. Alles ist äusserst komplex und unübersichtlich. Das macht es nicht nur schwierig für die rund 300'000 Sozialhilfeempfangenden, sondern auch für die ausführenden Behörden und Amtsstellen.
Dasselbe gilt für den Vollzug der Sozialhilfe, der in der Kompetenz der Gemeinden liegt. Wir wissen nur unzureichend, wie der Vollzug in den einzelnen Gemeinden funktioniert. Im Rahmen unserer Rechtsberatung stellen wir aber enorme Unterschiede fest. Die Sozialhilfe ist das letzte Netz der sozialen Sicherheit in der Schweiz. Der Rechtsschutz aber ist sehr schwach ausgeprägt. Das darf nicht.
Die SKOS, der Bundesrat und der Nationalrat sagen, die SKOS-Richtlinien hätten zu einer weitgehenden Harmonisierung geführt. Sie bestreiten das.
AH: Ja. Aber ich möchte betonen: Die SKOS-Richtlinien haben eine harmonisierende Wirkung. Ohne die SKOS wären die Unterschiede noch viel grösser. Selbst in Kantonen, die die Richtlinien nicht für verbindlich erklärt haben, orientiert man sich teilweise an den Empfehlungen der SKOS.
Aber die Harmonisierung geht definitiv zu wenig weit. Das kann man unter anderem dem Monitoring entnehmen, das die SKOS vor ein paar Monaten publiziert hat. Das Monitoring zeigt erhebliche Unterschiede überaus deutlich auf: Die Vermögensfreibeträge, die Sozialhilfeempfangenden zugesprochen werden, variieren in der Höhe stark. In den einen Gemeinden muss man schon bei geringem Verdienst und kleinem Vermögen bezogene Sozialhilfe zurückerstatten; in anderen profitieren Sozialhilfeempfangende von Freibeträgen; die einen Gemeinden unterstützen Sozialhilfeempfangende mit Mietkautionen, andere lehnen diese ab. Und so weiter.
Nun mag es stimmen, dass die Rahmenbedingungen der Sozialhilfe von Gemeinde zu Gemeinde variieren – aber ist das wirklich schlimm?
AH: Armut wird in der Schweiz von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich definiert. Aber Armut fühlt sich überall in der Schweiz etwa gleich an. Eine Ausnahme mache ich bei den Wohnkosten. Wohnkosten in Städten sind höher als in einer abgelegenen, ländlichen Gemeinde. Das darf sich in den Mietzinsrichtlinien spiegeln. Aber in allen anderen Bereichen sind die Bedingungen vergleichbar: Das Essen ist überall etwa gleich teuer, ebenso das Halbtax und ganz viele weitere Kosten. Es darf doch nicht sein, dass identische Sozialhilfeleistungen in einer Gemeinde ausgerichtet, während sie ohne sachlichen Grund in der Nachbargemeinde teilweise oder ganz verweigert werden. Sozialhilfe ist doch keine Lotterie!
Zu betonen ist aber: Eine Harmonisierung allein schafft noch keine bessere Sozialhilfe. Wir empfinden den Grundbedarf in der Sozialhilfe als zu tief berechnet und würden eine Angleichung an die Höhe der Ergänzungsleistungen sehr begrüssen. Die heutige Sozialhilfe ermöglicht das Überleben – aber sie gibt keine Luft, um sich wieder ein Leben in Würde aufbauen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
Der Bund hat eine nationale Harmonisierung der Sozialhilfe nun verschiedentlich abgelehnt. Sehen Sie Chancen, dass sie doch noch kommt?
AH: Zur Zeit wenig. Wir haben keinen Hebel, um diese durchzusetzen. Ich denke, wir müssen von einer anderen Seite her ansetzen. So würde ich es sehr begrüssen, dass in der Sozialhilfe engagierte NGO gemeinsam eine nationale Sozialhilfestrategie entwickelten, mit der bestimmte Forderungen besser kommunizierbar wären. Ich würde auch einen massiven Ausbau der unentgeltlichen Rechtsberatung in der Sozialhilfe befürworten. Eine Untersuchung des Bundesamtes für Sozialversicherungen hat deutlich gezeigt, wie wichtig dieser Ausbau wäre. Die Studie hat zudem verdeutlicht, dass der Betrieb von Rechtsberatungsstellen in der Sozialhilfe ohne öffentliche Gelder nachhaltig nicht finanzierbar ist. Und schliesslich hoffe ich, dass wir in Zukunft vermehrt über wissenschaftliche Daten und Fakten verfügen, die die Notwendigkeit einer nationalen Harmonisierung unterstreichen.