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Totalrevision Sozialhilfegesetz im Kanton Bern: Chance verpasst, die Menschen effektiv ins Zentrum zu stellen!

Eine breite Allianz, bestehend aus der UFS, AvenirSocial, Actio Bern - Fachstelle für Sozialhilferecht Kanton Bern, ATD Vierte Welt, KRISO Bern, Procap Bern und Qualifutura, wehrt sich mit Vehemenz gegen die in die Vernehmlassung geschickte Totalrevision des Sozialhilfegesetzes im Kanton Bern. Bereits im Mai 2019 hat das Berner Stimmvolk ein klares Verdikt für die Bekämpfung der Armut und nicht der Armen gefällt. Dass nun die Berner Regierung einen Vorschlag erarbeitet, welcher Bürokratie und Kontrolle und nicht die Menschen ins Zentrum stellt, ist höchst erstaunlich.

Sozialhilfe muss Menschen in Not helfen
Ein Sozialhilfegesetz muss als oberstes Ziel haben, Menschen in einer finanziellen Notlage ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die kurz vor der Sommerpause vorgeschlagenen Änderungen des Sozialhilfegesetzes laufen diesen Ansprüchen zuwider: «Die Forderung nach der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist keine diffuse Erfindung unsererseits, sondern ist in der Bundesverfassung verankert!», sagt Tobias Bockstaller von AvenirSocial, Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz. Weiter kritisieren die in der Allianz vereinigten Organisationen, dass weder direkt Betroffene noch ihre politischen und fachlichen Vertreter:innen in die Ausarbeitung der Gesetzesvorlage einbezogen wurden. Als einzigen Punkt positiv hervorzuheben sind die Lockerungen bei der Rückerstattung von Lohneinkünften.

Inakzeptabler Paradigmenwechsel
Deshalb verorten die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS, AvenirSocial, Actio Bern – Fachstelle für Sozialhilferecht Kanton Bern, ATD Vierte Welt, KRISO Bern, Procap Bern, und Qualifutura dringenden Handlungsbedarf beim Entwurf des Gesetzes. Mit der Einführung des Vermögensverzichtseinkommens würde der Kanton Bern das Bedarfsdeckungsprinzip, wonach ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen unabhängig von den Gründen der Notlage besteht, aufgeben und damit einen Paradigmenwechsel vollziehen. Gemäss dieser neuen Regelung hätten bedürftige Personen keinen bzw. keinen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen mehr, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem Antrag auf Sozialhilfe auf Vermögen verzichtet oder solches aus Sicht einer Behörde zu rasch aufgebraucht haben. Anders als bei den Ergänzungsleistungen, wo immerhin noch eine AHV- oder IV-Rente ausbezahlt wird, führt ein Vermögensverzichtseinkommen in der Sozialhilfe dazu, dass Betroffene und ihre Kinder trotz ausgewiesener Bedürftigkeit nur noch Anspruch auf Nothilfe gemäss Art. 12 BV hätten.

Verfassungswidrige Hilfeverweigerungen
Ebenso verheerend wären die Auswirkungen der neuen Möglichkeit Leistungen bei irgendeiner Verletzung der Mitwirkungspflicht bis auf Nothilfe zu kürzen. Beide Regeln würden zu verfassungswidrigen Hilfeverweigerungen führen. Als in höchstem Masse diskriminierend werden die möglichen Kürzungen bei unzureichendem Sprachniveau sowie die neu geschaffene Möglichkeit, Sozialhilfe mittels Bezahlkarten auszurichten, erachtet. Das führt zu einer Zweiklassengesellschaft, welche keine Unterscheidung vornimmt, aus welchen Gründen Sozialhilfe bezogen wird (Armutsgefahr während des Ausbildungsweges, Eingliederungsschwierigkeiten infolge Umlagerung von IV zu Sozialhilfe, etc.).

Fehlende Rechtssicherheit für Betroffene
Fachlich vermissen die Organisationen überdies, dass keinerlei Änderungsvorschläge gemacht werden, um manifesten sozialen Problemen wie zum Beispiel im Bereich Bildung, Verschuldung und Gesundheit zu begegnen. Überdies wird die Rechtssicherheit von Betroffenen nicht gewährleistet. Es besteht nach wie vor keine Finanzierung einer unabhängigen Beratungsstelle, welche auf Sozialhilferecht im Kanton Bern spezialisiert ist. Und auch betreffend Datenschutz birgt der Vorschlag des Regierungsrats die Gefahr, die Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Schlussendlich ist es stossend, dass viele Regelungen an die Verordnungsstufe delegiert werden. «Der Regierungsrat verfügt neu über noch mehr Möglichkeiten, zentrale Aspekte des Sozialhilfewesens mittels Verordnung, und somit am Parlament vorbei, zu beschliessen. Das höhlt die Demokratie aus.», sagt Marco Tschanz von der KRISO Bern.

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