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Überflüssig, teuer, kontraproduktiv und juristisch nicht haltbar

Die Junge SVP des Kantons Aargau (JSVP Aargau) sammelt seit dem 1. April 2023 Unterschriften für die Initiative «Arbeit muss sich lohnen». Die JSVP will, dass Armutsbetroffenen, die länger als zwei Jahre Sozialhilfe beziehen, der Grundbedarf generell um 5 Prozent gekürzt wird. Diese Initiative ist aus Sicht des Netzwerks Sozialer Aargau, der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS und AvenirSocial überflüssig, teuer, kontraproduktiv und juristisch nicht haltbar. Ein Beispiel aus Baselland zeigt bereits heute, wie eine solche Regel Sozialhilfeempfangenden übel mitspielen kann.

Ein überflüssiger Vorstoss

Überflüssig ist die Initiative deshalb, weil die Ziele, die sie verfolgt, längst im Gesetz verankert sind. §5a des Aargauer Sozial- und Präventionsgesetzes hält fest, dass die zuständigen Sozialdienste Sozialhilfebeziehenden, die nicht intensiv eine Arbeit suchen, die Sozialhilfeleistungen kürzen oder gar vollständig streichen können.
Die Initiative verlangt also etwas, was im Kanton Aargau bereits praktiziert wird.

Teuer und fehleranfällig

Aber selbst wer der Ansicht ist, das geltende Recht brauche mehr vom Gleichen, muss die Initiative ablehnen. Denn mit ihrem Vorstoss spart die JSVP Aargau kein Geld in der Sozialhilfe, sie verteuert sie. Die Sozialdienste müssten jeden einzelnen Fall langzeit-sozialhilfebeziehender Personen sorgfältig daraufhin prüfen, ob eine Leistungskürzung angesagt ist. Diese Abklärungen kosten Zeit und Geld. Und diese Zeit nehmen sich wohl nicht alle Sozialdienste. Das zeigt ein Beispiel aus dem Kanton Baselland, der seit dem 1. April 2023 einen vergleichbaren Passus im Sozialhilfegesetz kennt: Einer 60-jährigen Frau aus einer Gemeinde im Kanton Baselland, die seit mehr als zwei Jahren Sozialhilfe bezieht, wurde der Grundbedarf um 40 Franken gekürzt. Der entsprechende Sozialdienst begründete die Kürzung mit der Zeitdauer des Sozialhilfebezuges und damit, dass kein Ausnahmegrund vorliege. Tatsächlich? Immerhin hat die Sozialhilfeempfangende mehr als 20 Jahre gearbeitet und entsprechend lange Einzahlungen in die Sozialversicherungen geleistet. Die Sozialhilfebeziehende erhob deshalb Einsprache gegen den Entscheid - und erhielt umgehend recht. Der Sozialdienst hatte es unterlassen zu prüfen, wie lange die Klientin erwerbstätig gewesen war. Ein Schaden ist der Frau nicht entstanden. Sie hat rechtzeitig auf ihr Recht gepocht. Aber wie ist es mit jenen, die einen Entscheid einfach hinnehmen und sich nicht wehren? Sie müssen zu Unrecht mit weniger Sozialhilfe auskommen.

Kontraproduktiv und juristisch unhaltbar

Die Initiative verfügt daher über alle Ingredienzien, um Schaden anzurichten. Und sie erreicht ihr Ziel nicht, Armutsbetroffene in den Arbeitsmarkt zu integrieren - denn sie ist kontraproduktiv. Armutsbetroffene, die seit mehr als zwei Jahren Sozialhilfe beziehen, sind in der Regel bereit seit mehr als vier Jahren auf Arbeitssuche. Sie benötigen mehr Ressourcen und Unterstützung, damit sie wieder Fuss fassen können und eine Wirtschaft, die für Menschen am Rande der Gesellschaft Arbeitsmöglichkeiten anbietet. Kürzt man diesen Menschen die ohnehin karge finanzielle Hilfe, drängt man sie in eine noch prekärere Situation und verringert damit zusätzlich die Chancen, dass sie einen Ausweg aus der Armut finden. Zu guter Letzt ist die Initiative aus juristischer Perspektive unhaltbar. Sie hebelt fundamentale Pfeiler unseres Rechtsstaates aus. Sie ist willkürlich und verletzt die Prinzipien der Rechtsgleichheit und Verhältnismässigkeit. Eine Bezugsdauer von zwei Jahren ist ein rein willkürlich gewählter Faktor, um die Sozialhilfe zu kürzen. Es gibt dafür keine sachlichen Gründe. Um Armutsbetroffenen die Sozialhilfe zu kürzen, braucht es exakt diese sachlichen Gründe (zum Beispiel ungenügende Bemühungen um eine Arbeitsstelle). Die Sozialdienste sind gehalten, bei jedem Einzelfall individuell zu entscheiden, welche Massnahme am wirksamsten ist, damit der oder die Armutsbetroffene wieder in der Gesellschaft Fuss fassen kann. Generelle Abstrafungen widersprechen dem Recht und führen nicht zum Ziel.

Fazit Die Initiative «Arbeit muss sich lohnen» ist überflüssig, verteuert die Sozialhilfe, ist kontraproduktiv und juristisch nicht haltbar. Sie ist ohne «Wenn» und «Aber» abzulehnen.

Netzwerk Sozialer Aargau, Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS und AvenirSocial im April 2023

Im Netzwerk Sozialer Aargau haben sich dreizehn in der Sozialen Arbeit engagierte Organisationen zusammengeschlossen: Aargauischer Katholischer Frauenbund AKF, Anlaufstelle Integration Aargau, Caritas Aargau, Entlastungsdienst Schweiz -Aargau-Solothurn, Frauenzentrale Aargau, HEKS Aargau/Solothurn, Pro Infirmis Aargau/Solothurn, Pro Juventute Mittelland, Pro Senectute Aargau, Schuldenberatung Aargau/Solothurn, SEGES Sexuelle Gesundheit Aargau, Suchthilfe ags, Verein Netzwerk Asyl Aargau. www.netzwerk-sozialer-aargau.ch; info@netzwerk-sozialer-aargau.ch

Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS berät seit 10 Jahren kostenlos Sozialhilfeempfangende in Fragen des Sozialhilferechts und setzt sich für einen wirkungsvollen Rechtsschutz in der Sozialhilfe ein. www.sozialhilfeberatung.ch; info@sozialhilfeberatung.ch

AvenirSocial ist der Berufsverband der Sozialen Arbeit und vereinigt rund 4'000 Mitglieder. Der Verband vertritt die Interessen der Fachpersonen mit einer tertiären Ausbildung in Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokultureller Animation, Gemeindeanimation, Kindheitspädagogik und Leitung Arbeitsagogik. Er engagiert sich für die Verwirklichung der Menschenrechte, die Chancengerechtigkeit sowie für eine qualitativ hochstehende Soziale Arbeit.

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