Wann die berufliche Altersvorsorge von Armutsbetroffenen auch im Kanton Aargau besser geschützt?
Als einziger Kanton der Schweiz toleriert der Kanton Aargau, dass einzelne Gemeinden auf berufliche Vorsorgeguthaben von Sozialhilfebeziehenden zugreifen. Das Bundesgericht hat diese Praxis kürzlich abgesegnet, hat aber festgehalten, dass das betreibungsrechtliche Existenzminimum gewährleistet werden muss. In einem aktuellen Fall hat sich jetzt gezeigt, dass das Altersguthaben vollumfänglich der Existenzsicherung dient und für die Gemeinde lediglich ein Verlustschein resultiert.
Die berufliche Altersvorsorge soll dem Lebensunterhalt im Alter dienen. So steht es in der Bundesverfassung. Trotzdem verlangen einzelne Aargauer Gemeinden von Sozialhilfebeziehenden, dass sie bezogene Sozialhilfeleistungen mit dem angesparten Altersguthaben zurückzahlen müssen. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS hat die umstrittene Praxis dem Bundesgericht zur Prüfung vorgelegt. Im konkreten Fall hatte die Betroffene aus gesundheitlichen Gründen ihre langjährige Arbeitsstelle verloren. Die Gemeinde stellte sie vor die Wahl, kurz vor der Pensionierung in eine andere Wohnung umzuziehen oder sich durch den Bezug ihres BVG-Guthabens von der Sozialhilfe abzulösen. Was sie bis zum frühestmöglichen AHV-Bezug nicht zum Leben brauchte, sollte sie der Gemeinde für bezogene Sozialleistungen zurückerstatten.
Gemeinden überfordert
Das Bundesgericht hat diese Praxis geschützt, hält aber fest, dass «sofern die Sozialhilfebehörde den Weg der Zwangsvollstreckung tatsächlich zu beschreiten beabsichtigt» in jedem Fall das Guthaben in eine jährliche Rente umzurechnen und das betreibungsrechtliche Existenzminimum zu berücksichtigen sei. Aktuelle Fälle zeigen, dass die Gemeinden mit dem vorgeschriebenen Verfahren und insbesondere mit der Umrechnung des Freizügigkeitsguthabens in eine Rente und der beschränkten Pfändbarkeit überfordert sind. Von den Pensionären fordern sie weiterhin Beträge zurück, die aufgrund der beschränkten Pfändbarkeit des Altersguthabens geschützt sind. Dass solche unrechtmässigen Forderungen auch mit Rückerstattungsvereinbarungen «durchgesetzt» werden, muss leider ebenfalls angenommen werden.
Betreibung von ehemaligen Sozialhilfebeziehenden durch Gemeinden: zwecklos, kostspielig und unwürdig
In einem aktuellen Fall hatte eine Aargauer Gemeinde tatsächlich gegen eine ehemalige Sozialhilfebezügerin die Betreibung eingeleitet. Nachdem der Fall auch das Obergericht beschäftigt hatte, kommt das Betreibungsamt jetzt zum Schluss, dass keine pfändbare Quote resultiert. Die Gemeinde erhält einen Verlustschein. Aus dem aufwendigen und für die Betroffenen belastenden Verfahren resultierte letztendlich nichts ausser Kosten für die Steuerzahlenden.
Der Ball liegt jetzt bei Kanton und Gemeinden
Der Regierungsrat beabsichtigt, einen überparteilichen Vorstoss aus dem Grossrat umzusetzen und hat die Gemeinden dazu eingeladen, bis Ende Januar zu dem von ihm vorgeschlagenen Verbot der Rückerstattung mit Altersguthaben Stellung zu nehmen.
(publiziert: 25. Januar 2022)