Wohnen mit Sozialhilfe - drei Massnahmen für mehr Sicherheit beim Wohnen
Die Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz im System der sozialen Sicherheit. Ihr Ziel ist es, den Armutsbetroffenen ein Leben in Würde unter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, und wieder in eine finanzielle Selbständigkeit zurückzufinden. Ein wesentlicher Faktor, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine angemessene und sichere Wohnmöglichkeit. Dieses Ziel ist in der gegenwärtigen Situation für eine steigende Zahl von Sozialhilfeempfangenden in Frage gestellt oder sogar unerreichbar. Die Gründe dafür liegen auf der Hand und sind bekannt.
- Der Wohnungsmarkt ist ausgetrocknet. Günstiger Wohnraum ist Mangelware, was nicht nur bei Armutsbetroffenen, sondern bis weit in den Mittelstand zu Sorgen Anlass gibt.
- Die Nebenkosten steigen. Auch das führt direkt zu höheren Ausgaben für das Wohnen.
- Und schliesslich ist der Referenzzinssatz anfangs Juni um 0.25 Prozentpunkte gestiegen, was zu Erhöhungen des Mietzinses führen kann. Weitere Erhöhungen des Referenzzinssatzes per Ende 2023 erachten viele Fachleute als wahrscheinlich. Viele Vermieter:innen werden die Gelegenheit beim Schopf packen, und die Mieten anheben.
Expert:innen rechnen mit Mietzinssteigerungen von 4 bis 4,5 Prozent im laufenden Jahr und höheren Nebenkosten für Heizung, Warmwasser und Elektrizität von 60 bis 80 Prozent. Die Preisspirale dürfte sich auch 2024 weiter drehen.
In Ihrem Beratungsalltag erfahren die Rechtsberater:innen der UFS wie schwierig und herausfordernd die Situation für viele Sozialhilfeempfangende gerade im Bereich Wohnen sind. Die UFS fordert deshalb die kantonalen und kommunalen Sozialdienste auf, verschiedene Massnahmen umzusetzen, die den hohen Druck auf Sozialhilfeempfangende lindern. Dazu muss nichts Neues erfunden werden. Es gilt einfach, die SKOS-Richtlinien konsequent anzuwenden und auf neue Situationen rasch und angemessen zu reagieren.
Wohnen in Armut - ein Thema der Glückskette
Die steigenden Wohnkosten fordern nicht nur die Armutsbetroffenen, sondern auch viele Sozialdienste. In unserer Reihe von Sondernewslettern «Wohnen» greifen wir wichtige Themen rund um das Wohnen auf und weisen auf zentrale Handlungsfelder hin. Die Sondernewsletter «Wohnen» werden finanziert durch die Glückskette.
Massnahme 1: Mietzinsobergrenze realistisch festlegen und regelmässig anpassen
Die Gemeinden definieren, an welchen Mietzinsobergrenzen sich Sozialhilfeempfangende zu orientieren haben. Verschiedene Studien und Untersuchungen zeigen, dass diese Mietzinsobergrenzen schon in «normalen» Zeiten sehr tief - oft zu tief - berechnet werden. So hat die SKOS i der Zeitschrift ZESO 2/23 aufgezeigt, dass im Kanton Bern jeder fünfte Haushalt in einer Wohnung mit einem gemäss den jeweiligen kommunalen Mietzinsrichtlinien zu hohen Mietzins lebt. Auch eine Untersuchung aus dem Kanton Luzern belegt dasselbe. Eine Untersuchung der Aargauer Stadt Brugg hat ergeben, dass 40 Prozent der Mieten von Sozialhilfeabhängigen über den Mietzinsrichtlinien liegen. Die Liste könnte fast beliebig verlängert werden. Steigen nun die Mieten wegen des höheren Referenzzinssatzes, so leben plötzlich deutlich mehr Sozialhilfebeziehende ohne eigenes Zutun in zu teuren Wohnungen. Das darf nicht sein. Dieser Überzeugung ist auch SKOS-Geschäftsleiter Markus Kaufmann. In der Zeitschrift ZESO 2/23 schreibt er: «Ein Viertelprozent beim Referenzzinssatz entspricht drei Prozent Mietzinserhöhung. Zumindest diese Anpassung bei den Limiten ist folgerichtig. Die Verpflichtung zum Wechsel in eine kostengünstigere Wohnung nach einer Mietzinserhöhung oder eine Finanzierung der Mieterhöhung durch den Grundbedarf sind keine nachhaltigen Alternativen.» In ihrer Studie «Vergleich von Sozialhilfeleistungen in der Schweiz» (HarmSoz) zeigen die Wissenschafter Christophe Roulin und Benedikt Hassler eindrücklich auf, wie sehr die Sozialhilfe in vielen Bereichen einem Flickenteppich gleicht - auch beim Wohnen. Die einen Gemeinden achten genau darauf, ob ihre Mietzinsobergrenze realistisch bemessen ist und im Liegenschaftsmarkt auch tatsächlich Wohnungen angeboten werden, die im Rahmen der Mietzinsrichtlinien liegen. Viele andere Gemeinden aber halten eisern an einmal erlassenen Obergrenzen fest - unabhängig davon, welche Kapriolen der Liegenschaftenmarkt gerade macht.
Die UFS fordert deshalb die Sozialdienste dringend auf, ihre Mietzinsrichtlinien regelmässig zu überprüfen, sich an den realen Begebenheiten des Liegenschaftsmarktes zu orientieren und die Obergrenze insbesondere bei Mietzinserhöhungen anzupassen.
Massnahme 2: Nebenkosten vollständig übernehmen
Dass die steigenden Nebenkosten für viele Mieterinnen und Mieter zum Problem werden, war bereits 2022 ein vieldiskutiertes Thema. Es hat im laufenden Jahr nichts an Aktualität verloren. Gerade in desen Wochen dürften in vielen Haushalten die jährlichen Nebenkostenabrechnungen Kopfzerbrechen bereiten, da trotz regelmässigen Akonto-Zahlungen happige Nachforderungen geltend gemacht werden. Um rund 38 Prozent sind die Heizkosten bei Öl- und Gasheizungen 2022 gestiegen. 2023 dürften nochmals 20 Prozentpunkte dazukommen. Hinzu kommt eine Stromrechnung, die bei gleichem Verbrauch durchschnittlich 27 Prozent höher ausfallen dürfte, wobei es örtlich grosse Unterschiede gibt. Der Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband schreibt zu dieser Entwicklung: «Die am stärksten benachteiligten sozialen Gruppen zahlen nicht nur proportional einen höheren Anteil des verfügbaren Einkommens für die Miete als der Schweizer Durchschnitt und deutlich mehr als die wohlhabendsten Gruppen, sondern auch einen höheren Anteil für Heizkosten. Darum dürfen Haushalte, deren Einkommen durch Miete und Heizkosten bereits heute stark belastet ist, auf keinen Fall noch mehr zur Kasse gebeten werden.» Das gilt namentlich auch für Sozialhilfebeziehende. Deshalb hat die SKOS bereits 2022 empfohlen, «die effektiven Mietnebenkosten zu übernehmen, auch wenn dadurch die Limiten für Nebenkosten überschritten werden.» Viele Gemeinden haben dieser Empfehlung Folge geleistet - einige aber noch nicht.
Die UFS fordert auch diese Gemeinden auf, die effektiven Mietnebenkosten zu übernehmen und die entsprechenden Limiten der Realität anzupassen.
Massnahme 3: Suchen heisst suchen - nicht finden!
Wer als Sozialhilfeempfänger:in in einer zu teuren Wohnung lebt, ist gehalten, eine günstigere Bleibe zu suchen. Leichter gesagt als getan. Was tun, wenn es in der Gemeinde, in der man wohnt, keine günstige Wohnung gibt, die man mieten könnte? Der Leerwohnungsbestand in der Schweiz lg 2022 bei 1.31 Prozent vom Gesamtwohnungsbestand. In den Städten und Agglomerationen ist er noch weitaus tiefer. Der Wohnungsmangel - insbesondere der Mangel an günstigen Wohnungen - wird sich weiter verstärken. Die Ursachen dafür haben wir oben beschrieben.
Das macht die Suche nach einer für Sozialhilfeempfangende bezahlbare Wohnung äusserst schwierig und manchmal fast unmöglich. Was eine grosse Herausforderung ist, muss sich aber grundsätzlich nicht zur existenzbedrohenden Gefahr auswachsen. Denn gemäss den SKOS-Richtlinien müssen Sozialhilfebeziehende zwar aktiv eine angemessene Wohnung suchen und ihre Suchbemühungen dokumentieren. Wer dies kann, sollte vom Sozialdienst aber weder zur Kündigung der zu teuren Wohnung gedrängt noch mit Leistungsreduktionen belegt werden. Leider ist dies allzu oft nicht der Fall. Die Berater:innen der UFS werden immer wieder mit Fällen konfrontiert, in denen Sozialhilfeempfangende zur Wohnungskündigung gedrängt werden, auch wenn sie keine günstigere Wohnung in Aussicht haben. Leisten sie der Aufforderung nicht Folge, senken diese Sozialdienste oft ihre Mietzahlungen auf die Höhe der viel zu tief bemessenen Mietobergrenze. Für die Sozialhilfeempfangenden ist dies eine unerträgliche Belastung oder gar existenzbedrohend.
Die UFS fordert deshalb auch hier, dass Sozialhilfeempfangende solange in ihren Wohnungen bleiben können, bis sie eine passende und günstigere Alternative finden - sofern sie die aktive Suche nach einer solchen Wohnung belegen können.
Fazit:
Kommunale Sozialdienste sind gut beraten, die realen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt bei ihrem Handeln zu berücksichtigen und Mieterhöhungen in die Berechnung der Mietobergrenzen einfliessen zu lassen. Die höheren Nebenkosten gilt es vollumfänglich zu übernehmen, auch wenn sie die Nebenkosten-Limiten übersteigen. Und wer aktiv nach einer günstigen Wohnung sucht, darf nicht zur Kündigung gedrängt oder mit Leistungsreduktionen belegt werden. Dies wäre nicht rechtmässig.