«Manche Schicksale sind erschütternd»
Sie stehen Woche für Woche im Dauereinsatz. Und wenn die Eingabefrist für eine Beschwerde ans Gericht abläuft, arbeitet das Beratungsteam der UFS auch immer wieder mal bis in die Nacht hinein. Alle unsere Beraterinnen und Beraten haben eine juristische Fachausbildung. Eine davon ist Zoë von Streng. Im Interview erzählt sie, weshalb sie die Situation in der Sozialhilfe wütend macht - und weshalb sie ohne Bezahlung ein 60-Prozent-Pensum leistet.
Zoë, was ist deine Aufgabe bei der UFS?
Ich arbeite primär als Juristin. Das heisst, ich berate Menschen, die Fragen zum Sozialhilferecht haben. In die Öffentlichkeitsarbeit bin ich vor allem dann involviert, wenn Kantone Gesetzesreformen durchführen – ich analysiere diese und schreibe Stellungsnahmen dazu. Zuletzt war das etwa in den Kantonen Zürich und Baselland der Fall. Es ist wichtig, dass wir auch in diesem Bereich aktiv sind. Denn nur so kann es gelingen, die Kürzungen und Verschärfungen zu verhindern, die derzeit in vielen Kantonen geplant sind. Im Kanton Zürich hat der Regierungsrat beispielsweise gestützt auf die diversen Stellungnahmen auf eine Totalrevision des Sozialhilfegesetzes und damit auch auf eine Verschärfung verzichtet.
Wie muss man sich die Beratungen vorstellen?
Zu uns können Personen kommen, die Fragen zu ihren Rechten und Pflichten in der Sozialhilfe haben. Meist sind es Betroffene oder deren Angehörige, manchmal melden sich auch Sozialarbeitende bei uns.
Mit welchen Fragen gelangen diese an die Beratungsstelle?
Es geht etwa darum, ob das Sozialamt die Leistungen kürzen darf. Oder um die Fragen, ob sich die Betroffenen wirklich eine günstigere Wohnung suchen oder sich von einem Arzt untersuchen lassen müssen, wie es das Amt von ihnen verlangt? Die Erstanfragen erfolgen dabei über unsere Telefonberatung. Viele Fälle können wir bereits am Telefon lösen, indem wir den Ratsuchenden die notwendigen Informationen geben, damit sie sich selber weiterhelfen können. Oftmals ist es aber sinnvoll, wenn wir direkt einschreiten und zwischen Betroffenen und den Sozialbehörden zu vermitteln versuchen, um so eine Lösung des Problems herbeizuführen.
Und wenn das nicht den gewünschten Erfolg bringt?
Wenn das nichts bringt, schreiben wir für unsere Klientinnen und Klienten Rekurse und Beschwerden und gehen für sie auch vor Gericht. Jedes Jahr führen wir rund 1200 Beratungen durch – rund 60 davon begleiten wir auch vor Gericht.
Wie viel müssen die Klientinnen und Klienten dafür bezahlen?
Für Sozialhilfebeziehende ist unser Angebot gratis. Sie sind bedürftig und haben kein Geld, um uns zu bezahlen. Das bedeutet aber auch, dass wir unsere Arbeit anderweitig finanzieren müssen.
Wieso braucht es die UFS aus deiner Sicht?
Wenn es unser Angebot nicht gäbe, hätten Sozialhilfebeziehende niemanden, der sie rechtlich vertreten würde. Es gibt nämlich praktisch keine Anwältinnen und Anwälte, die Sozialhilfebeziehende beraten und vertreten. Der Grund ist ein einfacher: Sozialhilferecht ist ein Verlustgeschäft, deshalb kann es sich niemand leisten, in diesem Gebiet tätig zu sein. Das liegt auch daran, dass Gerichte, insbesondere die Erstinstanzen, in Sozialhilferechtsfällen praktisch nie unentgeltliche Rechtsverbeiständung bewilligen. Die Anwältinnen und Juristen bleiben so auf den Kosten sitzen. Und mit einer Ausnahme übernehmen auch die Rechtschutzversicherungen die Kosten in sozialhilferechtlichen Fällen nicht.
Können sich Sozialhilfebeziehende nicht selbst wehren?
Aus unserer Erfahrung ist es Sozialhilfebeziehenden, die rechtlichen Probleme mit dem Sozialamt haben, sehr oft nicht möglich, sich selber zu wehren. Einerseits handelt es sich um Verwaltungsrecht. Andererseits geben die kantonalen Sozialhilfegesetze wenig her, weshalb für viele Fragen die Rechtsprechung und die Lehre herbeizuziehen ist. Das macht die Sache kompliziert. Den Betroffenen fehlt in aller Regel das notwendige Wissen dazu. Zudem: Die Betroffenen sind oft gesundheitlich belastet und befinden sich in schwierigen Lebenssituationen. Ohne Rechtsberatungsstelle müssten sich die Betroffenen aber selber helfen – das läuft dann aber darauf hinaus, dass sie praktisch keine Chance haben, zu ihrem Recht zu kommen.
Wie ist die Situation von Sozialhilfebeziehenden?
Wir sehen, dass im Bereich der Sozialhilfe vieles schief läuft, dass auf den Ämtern viele Fehlentscheidungen gefällt werden. Da werden widerrechtlich Leistungen gekürzt oder nicht gesprochen – oder Personen werden gezwungen, mit Pensionskassengeldern Sozialhilfeleistungen zurückzubezahlen, obwohl das nicht verlangt werden darf. Auch werde manche verpflichtet, an einem Beschäftigungsprogramm teilzunehmen, obwohl sie arbeitsunfähig sind – um nur einige Beispiele zu nennen. Fehlentscheide haben im Bereich der Sozialhilfe meist sehr einschneidende Folgen für die Betroffenen, schliesslich ist die Sozialhilfe das letzte Sicherungsnetz.
Was löst es in dir aus, ständig mit solchen Fällen konfrontiert zu sein?
Ich mache das nun seit sechs Jahren. Am Anfang, als ich sah, wieviel da schief läuft und was das mit den Betroffenen macht, fiel ich aus allen Wolken. Was da in Gemeinden und Kantonen entschieden wird, ist wirklich erschreckend. Teilweise sind die Schicksale erschütternd. Man muss lernen, damit umzugehen. Die Gesamtsituation in der Sozialhilfe macht mich wütend. Ich frage mich: Machen die Personen, die solche Entscheide fällen, dies mangels besseren Wissens oder im vollen Bewusstsein, etwa weil sie politischen Druck spüren? Klar ist: Die Situation der Sozialhilfebeziehenden ist schlecht. Aber das motiviert mich umso mehr, mich für die Betroffenen und für eine Verbesserung der Gesamtsituation einzusetzen. Letzteres auch, indem wir die Öffentlichkeit über die Vorgänge und Probleme in der Sozialhilfe aufklären.
Du arbeitest mit einem 80 Prozent-Pensum für die UFS – 60 Stellenprozent davon arbeitest du ohne Bezahlung. Wie kam es zu deinem Engagement?
Ich arbeitete früher im Banking, in einem kompetitiven Bereich. Kompetitiv ist es auch bei der UFS: Ich will die Fälle für meine Klientinnen und Klienten gewinnen. Inhaltlich war es bei der Bank aber viel weniger interessant. Je weiter ich aufstieg, desto inhaltsloser wurde es. Das ist bei der UFS ganz anders. Hier sieht man, was man macht. Man bewirkt viel, für einzelne Personen, für Familien und im Idealfall auch ein Stück für die Schweiz. Das ist für mich mein Lohn.
Wie siehst du die künftige Entwicklung in der Sozialhilfe?
Die Bundesverfassung garantiert eigentlich jedem ein Leben in Würde. Ebenso den Zugang zum Recht. Ich bin nicht super optimistisch, dass dies in den kommenden zwanzig Jahren in der Praxis erfüllt wird. Aber es gibt auch Entwicklungen, die mich positiv stimmen. Ich sehe, dass unser Engagement eine Wirkung erzielt. So gelingt es uns immer häufiger, andere Juristinnen und Juristen von einem Engagement im Bereich des Sozialhilferechts zu überzeugen.
Zoë von Streng ist studierte Juristin und Ökonomin. Sie ist Teil des fünfköpfigen Beratungsteams der UFS. (Artikelbild: P.S./ Thomas Loosli)